Heile Welt
worden.
Das hölzerne Lehrmittelauge kassierte Matthias bei der Gelegenheit, das nahm er mit hinauf in seine Dachkammer, das würde ihm den Wecker ersetzen, abends das Lid hochklappen, dann wacht man morgens früher auf.
Matthias saß nun häufiger hinter dem Lehrerschreibtisch und zog die Finger durch den Schlüsselring. Das dauernde Durch-die-Klasse-Laufen brachte ja auch nichts ein. Und am Fenster stehen und die trostlose Laube ansehen? Vielleicht sollte man sie streichen lassen im Frühjahr, und dann Büsche drum herum pflanzen gegen den kalten Wind?
Die drei Kleinen hatten inzwischen Lesen und Schreiben gelernt, was die Mütter sehr wunderte, denn die waren der Meinung, daß die Kinder in der Schule ja überhaupt nur spielten und gar nicht vorankämen.
O Mama o!
O der Ofen!
Oma, Oma!
Tatsächlich, sie konnten lesen, und das hatte er ihnen beigebracht. Und das kam Matthias wie ein Wunder vor: Der Eintritt in die abendländische Kultur: Bald würden sie Bücher lesen können, von vorn bis hinten, zu einem Goethe-Gedicht würde es wohl nicht kommen, aber die Zeitung.
Eines Tages fand er auf seinem Tisch einen Zettel:
Du bis leip!
stand darauf, die dünne Ursula hatte ihn geschrieben. Sie hatte etwas Schwärmerisches in ihrem Blick, wenn Matthias ihr die Haarschleife zurechtzog, und beim Vorzeigen der Rechenaufgaben drängte sie sich sacht an ihn.
Die Schönschreibstunden waren am angenehmsten, eine Zierleiste oben und unten und dann Gedichte abschreiben, jedes Wort mit Ober-und Unterlängen Buchstaben für Buchstaben sauber nebeneinandersetzen. Während die Kinder schrieben, guckte Matthias aus dem Fenster, dessen Farbanstrich entfernt worden war, und wartete auf den Briefträger. Irgendwann würde vielleicht mal ein Brief aus Kanada kommen? Oder sonstwoher?
Aus Kanada kam nichts, aber aus Hahnewiesche kam von seiner Mutter ein größerer Briefumschlag mit Bildern, ausgeschnitten aus der«Hörzu», ob er die gebrauchen kann? Talsperren, Brücken und der Petersdom im Abendsonnenschein. Ob er damit seinen Kindern nicht was beibringen kann, fragte sie, und warum er denn nie schreibt?
Auf einen Brief von Lilli wartete er nicht, aber daß sie nie geschrieben hatte, wurmte ihn.
Abwechslung brachte wie eh und je der Vertreter, der wieder einmal auf den Hof gefahren kam. Den begrüßte er wie einen alten Freund. Einen neuen Glasfiber-Zeigestock orderte Matthias, den alten hatte er in einer Zornesaufwallung auf dem Tisch zertrümmert. Als Neuigkeit offerierte ihm der Mann schwarze Kreide, dazu müßte jedoch die Tafel weiß gestrichen werden.
Gelegentlich fitzelte Matthias noch an den Stundenvorbereitungen«für den Notfall»herum, römisch I, II, III. Die hatte Stichnoth wohl auch zur Hand genommen. Betriebsspionage, jedenfalls lagen sie in seiner Schreibtischschublade auch nicht mehr so da, wie er sie hingelegt hatte. – Vergeblich überlegte Matthias, wie er dem bösen Kollegen eins auswischen könnte. Anschwärzen irgendwie? Zu ihm hinfahren nachts und unter seinem Fenster gellend lachen?
Aber besser nicht tun so was, der hatte womöglich Fuchseisen ausgelegt. Matthias fuhr sogar zu der Seglerkameradschaft, die ihn mit hallo begrüßte – er hatte gar nicht geahnt, daß er bei denen so beliebt war. Sie schliffen gerade den Leib ihres Kahns, um ihn hernach neu anzustreichen. Bierflaschen standen herum. Stichnoth konnten sie auch nicht leiden. Sie waren alle auf seiner Seite, und sie meinten, daß es gar nicht nötig ist, dem die Fensterscheiben einzuwerfen, der Stichnoth falle irgendwann einmal von selbst auf die Schnauze, das sei klar. So was läuft sich tot.
Einer von ihnen kritisierte den schrägen Blick dieses Kollegen, aber zu irgendwelchen Taten konnten sie sich nicht aufraffen, denn Stichnoth reparierte ihre Autos, wenn mal Not am Mann war.
Ob er den Sextanten eigentlich noch braucht, wurde er gefragt, das wär’ eigentlich das richtige Geburtstagsgeschenk für den Seglerboß.
Aber wieso denn?, dachte Matthias; schenkt mir denn jemand was?
Wenn Matthias die Schule abschloß nach den täglichen fünf Schulstunden, Kräfte und Nerven abgenutzt, aß er bei Frau Schulz doppelte Portionen. Fette Hochzeitssuppe auf Huhn und Reis, mit Spargeleinlage und Eierstich, dann Schweinebraten mit knackiger Kruste, dazu Rotkohl und viel Soße, danach Pudding und so weiter.
Frau Schulz redete ja nie viel, immer in Schwarz und immer schweigsam, aber über das Absägen der Platanen hatte sie sich auch
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