Heile Welt
Erleichterung, mit der Matthias von den Kindern begrüßt wurde, und die Angst in den Gesichtern: Hier hatte es Maulschellen gegeben, auf Vordermann hatte Stichnoth die Kinder gebracht.
«Wer mich stört, den stör’ ich!»Das war eines der Rezepte, mit denen Stichnoth sich durchsetzte.
Die drei Australier hatten die ganze Zeit vor ihm hermarschieren müssen: So weit kommt das noch, daß die hier rumbolzen oder wie oder was. Das konnten die vielleicht im australischen Busch machen, bei den Kanaken oder Hottentotten oder wie oder was, aber doch nicht hier in Mitteleuropa!
Der Schrank war leergeräumt worden, liebenswerter Schurrmurr entfernt. Die Ziegelsteinsammlung und die Kartoffelausstellung, die Kastanienmännlein vom letzten Herbst und das gebrauchte Knetgummi, alles war auf den Abfallhaufen geworfen worden, und auf dem Staub des Klavierdeckels stand deutlich lesbar SAU, mit dem Finger geschrieben.
Im Wochenbericht war vermerkt:«Da kein vernünftiger Plan vorhanden war, mußte hinsichtlich des Stoffes improvisiert werden.»Und in der Schulchronik würde man es noch in fünfzig Jahren lesen können, daß Stichnoth hier in Klein-Wense katastrophale Verhältnisse angetroffen habe, unter aller Kritik! Und daß er, Stichnoth, vergeblich versucht habe herauszubekommen, wie es zu solchen Mißständen habe kommen können.
Freischaffendes Lernen in je offener Behaustheit. – Die drei Kleinen hielten sich dicht an Matthias:«Kommt Herr Stichnoth wieder? »fragten sie ihn mit angstflackernden Augen.
Im übrigen hatte der älteste der drei Australier ein blaues Auge, hier hatte sich also das freie Spiel der Kräfte entfalten können, hier war Druck nach unten weitergegeben worden.
«Schämt ihr euch nicht?»fragte Matthias die Klasse. Nein, sie schämten sich nicht.
Es war auch zu erkennen, daß Stichnoth den Stall inspiziert hatte, und die Kinder bestätigten das, nicht guten Tag gesagt habe der Mann, und im Stall habe er herumgemurkst.
Offenbar war Stichnoth sogar die Treppe zum Dachboden hinaufgestiegen, war dann aber doch zurückgezuckt.
Sehr regte Matthias sich auf, als er durch die Küchentür in die Klasse hinübergehen wollte. So gewaltig er auch rüttelte: Die Verbindungstür war versperrt! Und zwar durch einen neu angebrachten eisernen Riegel mit Vorhängeschloß, dessen Schlüssel sich nicht finden ließ. So weit kommt das noch – sollte das bedeuten, daß hier während des Unterrichts zu Spiegelei und Schnaps in die Küche gegangen wird…
Aus war es damit, morgens durch die Küche trockenen Fußes in den Klassenraum überzuwechseln, erst mal noch in Pantoffeln, die Schuhe kann man sich ja nachher noch anziehen… Aus und vorbei. Und für so was war er schließlich Dorfschulmeister geworden! – Matthias holte Hammer und Meißel und knallte den Riegel ab, haute sich dabei noch in die Hand, und das erregte seine Wut auf das äußerste.
Es ärgerte ihn auch, daß die Tür des Schulklos jetzt geschlossen war, sonst immer so hübsch im Wind gewedelt und immer frische Luft, jetzt sorgte ein Bleibeutel an einer Zugschnur dafür, daß die Tür zufällt, wenn einer das Klo verläßt. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Schnur zerschnitten.
Die rote Papphand, mit der nun angezeigt werden konnte, ob besetzt oder nicht, auch so eine Neuerung, schmiß er jedenfalls in die Müllkuhle.
Am nächsten Tag kam der Bürgermeister, gerade als Matthias ein paar alte silberne Löffel mit Schnaps abrieb, daß die mal ordentlich sauber werden, bevor er sie in die Vitrine legt.
Ob er mal eben stören darf, fragt der Bürgermeister. Setzte sich nicht, sondern blieb stehen in der blanken Stube. Es sei hier ja so ein Gestank in der Wohnung? Matthias müsse mal ordentlich lüften und klar Schiff machen! – (Ob er sich jetzt dem Schnaps zugewandt habe, das fragte er nicht, aber das dachte er, als er die Flasche auf dem Tisch stehen sah.) Er habe gehört, daß Matthias den nagelneuen Riegel abgeschlagen hat mit brutaler Gewalt? Ein riesengroßes Loch in der Wand… Was das bedeuten soll? Mit viel Mühe angebracht und nun einfach rausgerissen, und jetzt dies Loch da? – Und da wär’ noch was, bei der Gelegenheit: Die Posaune gehöre dem Posaunenchor, sie sei inventarlich ausgewiesen, die könnte er doch nicht so einfach mitnehmen, in den Urlaub oder wer weiß wohin? Er hätte doch zumindest um Erlaubnis nachsuchen können, also fragen, da hätt’ ihm gewiß niemand den Kopf dafür abgerissen. Ob das nicht
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