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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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geärgert, und sie sagte«schor», was soviel wie«schade»heißt. Und das Allerschönste: Die Sägerei habe das Holz nicht verarbeiten wollen, weil das Holz dieser Bäume zwar hart, aber«von geringer Dauer»sei, für«Pöhl»also nicht geeignet. Das flüsterte sie so vor sich hin, denn da saßen auch Männer am Tisch, die ganz anders darüber dachten, Männer, deren Fahrräder abends am Zaun des Bürgermeisterhauses lehnten.
    Sie war anders zu Matthias, jetzt, sah ihn anders an, freundlicher? So schien es jedenfalls.
    Freundlich war auch Dr. Feist zu ihm, der Schularzt, mit seinem dem Lichte zugewandten Gesicht, der die Schulneulinge untersuchen kam, freundlich, weil er im vorigen Jahr zu spät gekommen war aus Schusseligkeit, was beinahe ins Auge gegangen wär’. Matthias hatte diese Vergeßlichkeit nicht an die große Glocke gehängt, nicht einmal rumerzählt irgendwo, und so was zahlt sich aus. Ob er nicht mal eine Kur brauchte, fragte ihn der Mann, er sähe so blaß aus? Fehle ihm was? Er brauche nur mal in seine Sprechstunde zu kommen, mittwochs von elf bis zwölf, dann werde man das schon hinkriegen.
    Er nahm die Kinder zwischen die Beine, diesmal waren es fünf Schulanfänger -«Tendenz steigend»-, und er fühlte ihnen die Oberarme ab und drückte ihnen die Schulterblätter rein.
    «Ich gehe in den Wald und pflücke viele bunte Blumen…»Diesen Satz konnten alle Kinder nachsprechen, sie vollbrachten es, ohne zu stocken, und in der Diktion ganz ähnlich wie der Arzt, goethisch durch und durch. Und ja!, sie konnten bis vier zählen. Nachdem sie es getan hatten, entnahm der Arzt nach alter Sitte Pfefferminzpastillen einer kleinen Blechdose, schluckte selber eine, und dann durften die Kinder zulangen. Darauf warteten die schon, das war so Usus in der Börde.
    Wieviel Jahre mochte der Mann wohl schon im Dienst sein? Und jeden Frühling dasselbe, in fünfzig Schulen.
    Ich gehe in den Wald und pflücke viele bunte Blumen?

    Unter den Neulingen befand sich auch die Enkeltochter des Bürgermeisters. Die tanzte gleich aus der Reihe, daß sie sich dies und das erlauben darf, weil sie die Enkeltochter des Bürgermeisters ist, so in diesem Stil, hämmerte auf dem Klavier herum, was sich noch kein Schüler getraut hatte, seit dreißig Jahren nicht. Und ihre Mutter guckte in der Klasse herum, ob auch alles am rechten Platz steht? Die Jacken und Mützen der Kinder ja alle so unordentlich auf den Haken. Ob das Anstand und Sitte ist, mochte sie denken. Da will sie doch gleich mal ihren Schwiegervater fragen, ob das geht, so eine Unordnung, ob da die Jugend nicht verwildert? Da sie jedoch auf bedeutsame Weise sonderbar aussah, machte Matthias ihr schöne Augen, und das verfing irgendwie.
    Mittags versank Matthias in Pädagogenschlaf, fest und süß, schloß Fenster und Türen und fiel in einen Freiheitsschlaf, der die Seelenstriemen glättete und die Krausheit im Gehirn. Je mehr er aß, desto fester und süßer war der Schlaf. Manchmal träumte er sogar, und manchmal konnte er nur schwer wieder wach werden.
    Nach dem Schlafen bescherte er sich eine freischaffende Kaffeestunde, in je eigener Behaustheit, im Salon also, schlürfte zwei Tassen Kaffee aus Geschirr, das auf der Rückseite eine besondere Signatur sehen ließ – allerdings erst dann, wenn der Kaffee ausgetrunken war -, dazu ein Tütchen Florentiner, die Zeitung in aller Ruhe lesen, Beine hoch, und die Sonne scheint ins Zimmer.

    Gelegentlich passierte es, daß sein kostbarer Schlaf unterbrochen wurde von Bauersfrauen, die wissen wollten, ob ihr Kind gut ist in der Schule, sie schlugen mit aller Kraft an die Tür, so als ob sie von der Polizei wären. Ach, wie waren die Bauersfrauen froh, daß Matthias wieder da war! Das sagten sie jedenfalls, vielleicht im Hinblick auf die Zensuren, die zu Ostern fällig sein würden. Eine von ihnen, eine hagere Flüchtlingsfrau aus dem Osten, brachte gar ein Stück Schinken mit, den solle er sich man gut munden lassen, und einen Laib Bauernbrot. Das Brot behielt er, aber den Schinken gab er ihr wieder mit, obwohl der Handel unter vier Augen vor sich gegangen war.
    Weshalb er denn gar nicht mehr Posaune bläst?, wollte sie wissen.

51

    E ines Tages kam jemand die schmale Treppe heraufgestiegen, als Matthias noch im Mittagsschlaf lag und von berittenen Soldaten träumte, Kürassieren mit Adler auf dem Helm. Er hatte das fremde Auto gehört und das Türenschlagen. Stufe für Stufe kam es die Außentreppe heraufgestiegen, und es

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