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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Rücken lagen, gab’s da nichts zu sehen. Wer hier einkaufen wollte, vielleicht einen Eimer weißer Farbe, von der ein großer Vorrat im Keller stand, mußte durch die Küche gehen, wo es dann zu ausgedehnten Unterhaltungen kam. Vielleicht leitete sich das noch aus der Tradition der Schnapsbrennerei her? Über den Hof war vermutlich auch der jüdische Viehhändler geschlichen, nachts, der dann sein Vieh daließ und alles andere auch. Ein lebenslustiger Mensch sei das gewesen, hieß es, der habe nichts anbrennen lassen.
    Claasen lebte davon, daß er Haare schnitt, den Bauern Farbe verkaufte, und außerdem hatte er die Landwirtschaft mit den übergroßen Kühen.
    «Ich bin Landwirt », pflegte er zu sagen,«kein Bauer.»

    Klapproth, der andere Kaufmann, war Flüchtling aus Ostpreußen. Seinen Reden, die er glasig am Wirtshaustisch von sich gab, entnahm man, daß seine Eltern Reichtümer besessen hatten. Eichen-und Buchenwälder sowie ein vier Stockwerk hohes Kaufhaus. Irgend jemand hatte das mal bestritten, einer, der die Klapproths von früher her kannte. Mißgünstig hatte der von einem«Bauchladen»gesprochen. Weil er aber gleichzeitig behauptet hatte, Vater Klapproth sei in der Partei ein großes Tier gewesen, ließ man es bei leisem Spott bewenden. Mein Gott, die Partei, wie lange wollte man das den Leuten denn noch vorwerfen? Und: großes Tier? Immerhin… Lehrer Schmauch war ebenfalls PG gewesen, und der Bürgermeister von Kreuzthal sogar Sonderführer im Warthegau. Du meine Güte!

    Klapproth hielt seine Fliegenfänger, Bürsten, Graupen, Grieß und Zucker in einer Reichsarbeitsdienstbaracke feil, die er nach dem Krieg auf Abbruch erworben hatte, an der«Kaufhaus Klapproth»zu lesen stand. Vorn der Laden, hinten zwei Zimmer und Küche. Als Matthias mit dem Fahrrad die schlammige Zufahrt entlanggeschoben kam, sah er, daß vor Kaufhaus Klapproth der kleine FIAT stand, der ihm schon am Bahnhof aufgefallen war.

    Matthias stellte das Fahrrad vor der Baracke ab und löste die Klammern von den Hosenbeinen, eben verließ die junge Frau den Laden. Ein schwarzes Wollkleid trug sie unter einem hellen Staubmantel. Sie sah städtisch aus, mit ihrer randlosen Brille, ein offenbar gebildeter Mensch, hatte ein blasses, ernstes Gesicht. Dicht ging sie an ihm vorüber, fast hätten sie einander berührt.
    Daß er einen solchen Menschen hier in Klein-Wense traf, gab ihm ein gutes Gefühl,«Trost», könnte man sagen. Nun war er nicht mehr so allein.
    Die junge Frau stieg in ihr Auto und fuhr davon.
    Matthias wurde von Kaufmann Klapproth als neuer Kunde herzlich begrüßt. Alle Bauern schimpften auf ihn, ein Flüchtling, der kein Platt sprach und auf ihre Kosten lebte. Aber sie kamen immer wieder zu ihm, weil er einfach alles hatte, ob sie es nun brauchten oder nicht. Strohhüte zum Beispiel, die bei der nahenden Heuernte vielleicht nützlich sein könnten. Um einen Strohhut zu kaufen, brauchten die Dörfler nicht nach Kreuzthal zu fahren, die gab es hier in allen Größen. Desgleichen Heurechen aus Holz und grün-rot gestrichene Hand-Rasenmäher.

    Matthias wurde von Herrn Klapproth ganz regulär willkommen geheißen – schön laut, damit es die Frauen mitkriegten, die im hinteren Teil des Ladens standen, mit was für einem Mann er hier verhandelt -, und dann enthüllte und entschraubte er für sich und für Matthias kleine Flaschen Jägermeister und prostete ihm zu. Er sei ebenfalls aus dem Osten, sagte er, Matthias sei doch bestimmt Mitglied im Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten? Nein? In Westereistedt träfen sie sich einmal im Monat, ob Matthias nicht mal mitkommen wolle?
    Er füllte für ihn ein Rabattmarkenheftchen aus, was ihm Gelegenheit gab, laut nach seinem Namen zu fragen. Matthias mußte den Namen buchstabieren,«ohne h und mit ck», und auch sagen, was sein Vater von Beruf gewesen ist.
    «Beamter bei der Stadt?»fragte der Mann, und dann sagte er:«Und Sie sind jetzt Dorfschulmeister? -’n ganz schönen Afstieg…», womit er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

    Mal neugierig, wie schnell das Heft voll ist!, sagte er dann, und da Matthias der neue Lehrer war, zeigte er ihm eine flache Rechenmaschine aus Blech, die mit einem Stift zu bedienen war:«Addiator»hieß das Ding, obwohl man damit auch subtrahieren konnte. Beim Addieren von oben nach unten schieben, beim Subtrahieren von unten nach oben.
    Matthias wollte diese fabelhafte Rechenmaschine nicht, die kannte er aus seiner Kindheit, die hatte

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