Heile Welt
ein Pfingstgebinde aus Birkengrün ersetzen, von dem selbstgebastelte Papiertauben herunterhängen… Der Geist hilft unserer Schwachheit auf! Im Herbst dann eine Erntekrone und zu Weihnachten den Adventskranz… Schleunigst entfernen das Osterdings, wenn der Schulrat plötzlich in der Tür steht, unangemeldet, und sehen will, wie der junge Herr sich macht, und dann das verwelkte Dings an der Decke? Dann ist gleich alles verloren… Auf die Weihnachtszeit mit den Kindern freute Matthias sich schon jetzt. Das war noch eine Weile hin, davor lagen noch dreimal Ferien. Auch das nicht zu verachten.
Matthias stand auf und klappte dem Augenmodell das Augenlid herunter: Das würde man auf die Dauer nicht aushalten können, daß einen das ständig anguckt?
Er setzte sich in die Bank der Großen und guckte nach vorn, wie das aussieht, wenn vorn ein Lehrer an der Tafel agiert, den er sich jetzt im Gegensatz zu dem beleibten Schmauch als kleinen Mann mit Spitzbart vorstellte.
Matthias sah sie alle, die Vorgänger, einen nach dem anderen, den Kopfrechenspezialisten, den Blumenfreund, den Larifari-Mann und den Sadisten, der den Mädchen mit einem Stock auf die Fingerspitzen schlägt und fragt: Hat’s weh getan?
Das Gleichnamigmachen der Brüche. An der Tafel sah er sie stehen, die Urzeitkollegen, die Kreide knackt kaputt, wenn man gerade zum Schreiben angesetzt hat – und an der Landkarte«Die Norddeutsche Tiefebene». In ihren Hosen tragen sie lange Unterhosen, und darunter sind sie nackt. Die Kinder zeigen mit den Fingern auf oder schreiben in ihre Hefte, die liegen schräg vor ihnen, und der Zeigefinger ist durchgedrückt: Schönschreiben, Freitag die letzte Stunde, drei Reihen a und drei Reihen b. Der Fußboden wird einmal pro Monat geölt.
Sich selbst sah Matthias am Fensterbrett lehnen. Ich werde viel am Fensterbrett lehnen, dachte er. Die Kinder kommen lassen in freischaffender Selbsttätigkeit, und dann hinaussehen aus dem Fenster, zum Wald hinüber, in dem die deutsche Seele geboren ward. Blaubeeren sammeln, Kaninchen halten. – Mit Bienen würde er sich nicht befassen, das stand bereits fest. Und mit Schweinehaltung auch nicht. Eine Katze, einen Hund und vielleicht ein paar Hühner… Schade, daß Klein-Wense nicht an der Nordsee lag. Auf den Dünen hätte man sitzen können, mit den Kindern Schiffe schnitzen und hinüberdeuten zum Horizont und ihnen sagen, daß dort die weite Welt liegt. Vielleicht wäre die Lehrerstelle auf Neuwerk doch besser gewesen? – Aber nur einmal pro Woche Post?
Plötzlich stand ein Mädchen vor ihm, wie er da in der Bank saß. Es war das Mädchen vom Friedhof mit den schiefgetretenen Pantoffeln. Zöpfchen und Hahnenkamm mit Spange.
«Ich muß die Blumen gießen», sagte sie und machte einen Knicks. Matthias erfuhr, daß sie Marianne heiße, fünf Brüder hätte und in den Ferien hier die Blumen gießen müsse.
Die kleine Helferin
Mariechen, mein Schätzchen, bist du endlich hier?
Du kannst mir jetzt bei der Arbeit nützen. Lege deine Kapuze ab! Hole deine Arbeitsschürze mit dem Latz. Du sollst putzen. Nachher klopfen wir die Matratzen. Das ist für mich allein eine zu große Strapaze.
Der Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen, scheiterte. Daß er der neue Lehrer sei, sagte er schließlich, aber das wußte das Mädchen ja schon. Es war nicht unfreundlich, aber es schwieg.
Matthias besann sich darauf, daß man Kindern nahekommt, wenn man ihnen was zu tun gibt. Das hatte Petersen geraten.«Kannst du mir ein paar Eier besorgen?»fragte er also, und, ja das könne sie, sagte das Mädchen und verschwand augenblicklich.
Die Fensterscheiben hatte man unten weiß gestrichen, um die Kinder am Hinausgucken zu hindern – nun behinderten sie den Lehrer: Matthias hätte dem Mädchen gern nachgeguckt, wo es nun wohl hingeht, und ob es wiederkommt und tatsächlich Eier mitbringt? – Die weiße Farbe würde man abkratzen müssen. Licht hereinlassen!
Und den Lehrmittelschrank aufräumen.
Der Lehrmittelschrank war, Eichenholz imitierend, bemalt, die Tür mit einem krummen Nagel zugehalten, oben drauf lag eine Posaune.
Marianne kehrte zurück mit fünf Eiern, an denen noch Heu klebte, in der Schürzentasche hatte sie die. Matthias ging mit ihr in die Küche und legte sie auf den Tisch.
«Ich hab’ noch gar nichts», sagte er.
Dann wieder rüber in die Klasse, und er öffnete den Schrank, in dem es ziemlich schlimm aussah: Eine Zigarrenkiste mit uraltem, steinhartem Knetgummi, ein
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