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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wunderschön gewesen, in Höxter das Geschirr«ADRIA»schon mal angesehen, für sechs Personen, und für die Eßecke nimmt man am besten Raucheiche? Alles gut und schön, bis Lillis Mutter zu bedenken gegeben hatte, daß ein Volksschullehrer sehr wenig Geld verdient, und außerdem: auf dem Lande herumsitzen? Womöglich ein ganzes langes Leben lang? Mal ganz abgesehen vom rein Gesellschaftlichen.
    «Mein Mann ist Volksschullehrer von Beruf», also das ist nicht so doll, und dann noch:«… auf dem Lande…»? Und was sollte schließlich aus Lillis Jurastudium werden? Wozu sollte denn das taugen?

    Der Sperling wurde hinaus-und wieder hereingelassen, und der Spitz vom Bauern Freede bekam seine Wurstscheibe. Matthias nahm die eine oder die andere seiner Kegelkugeln wägend in die Hand, dann ließ er sie die Blechbahn den Berg hinaufklettern und durch die Tunnels hinunterrollen. Im zweiten Tunnel blieb sie stecken. Da mal ein bißchen mit der Zange korrigieren.

    Nach dem Frühstück fuhr Matthias nach Sassenholz zur Kirche. Wie durch einen englischen Park ging es, von den fernen Glocken geleitet, an sanften Wiesen vorüber, über krumme Wege, entlang an krummen Zäunen.«Was sind das für schöne Zäune!»dachte Matthias. Er hatte was übrig für Zäune, und er freute sich über die urigen Eichenpfähle und über den Stacheldraht, an dem ein paar Regentropfen hingen. Zäune abzeichnen lassen, das könnte man doch auch mal machen…
    Einen heroischen Zug bekam die Landschaft durch die großen Hochspannungsmasten, die an den ausgebreiteten Armen dicke Drähte einander zuschwangen.

    Die Vögel, die laut und sehr durcheinanderflöteten, kannte Matthias, auch die Namen waren ihm geläufig: Schwarzdrossel und Goldammer – aber er wußte nie, welche es waren, die da nun gerade sangen oder pfiffen oder zwitscherten. Aber es waren alles alte Bekannte. Einem Auswanderer, in die Heimat zurückgekehrt, würde das Geschmetterte sehr vertraut vorkommen.«Ja, jetzt bin ich wieder zu Hause», würde er sagen, und dann würde ihm bewußt werden, was er all die Jahr entbehrt hat.

    Es war eine angenehme Fahrt, leider fuhr in einiger Entfernung Anita Fitschen, die dicke Tochter des Nachbarn voraus, deren Großvater den ganzen Tag aus dem Fenster guckte, und, so langsam Matthias auch fuhr, sie wurde immer noch langsamer.

    Die Kirche in Sassenholz war auf Feldsteinen gegründet, sie hatte einen kurzen Turm, in dem die Stundenglocke, von scharrenden Geräuschen begleitet, dafür sorgte, daß man es nicht vergäße: das Leben rinnt dahin, dahin… Die Linden mit ihrem schlaffen, eben aufgebrochenen Grün reichten bis zur Uhr hinauf. Die Zeiger waren frisch vergoldet, das Zifferblatt blau.
    Das Geläut machte einen ziemlichen Lärm, junge Burschen hingen an den Stricken, ließen sich von den schwingenden Glocken hinaufziehen und schwebten wieder herab. Das waren die Chorknaben, im letzten Jahr konfirmiert und nun für ein ganzes Jahr dazu verpflichtet, am Gottesdienst teilzunehmen. Das wurde kontrolliert.

    Die Dorfbewohner kamen aus jeder Richtung, gemessenen Schrittes sah man sie die Wege daherschreiten, zu zweit oder zu dritt, auf sogenannten Richtwegen, seit Jahrhunderten ausgetrampelt von Kirchgängern, ob’s stürmt oder schneit.

    Neben der Kirche stand das Dorfgasthaus«Zur Linde», weiß unter riesigem Walmdach, mit dem großen Stumpf einer abgesägten Linde davor, aus deren Wurzeln Triebe schossen, die ein ums andere Jahr abgeschnitten wurden, einer Bank und einer verrosteten Tanksäule. Nach hinten hinaus verfügte es, wie zu sehen war, über eine Kegelbahn.
    Mancher Bauer ließ die Seinen allein in die Kirche gehen -«geht man schon vor…»- und zweigte sich selbst ab, ins Wirtshaus hinein, Kontakt mußte schließlich gehalten werden, die Schweinepreise, und«was gibt’s Neues?». Andere stießen nach dem Gottesdienst dazu, die interessierten sich auch für die Schweinepreise.

    Matthias lehnte sein Rad an die Kirchhofsmauer und ging hinein. Der unleidige Küster schloß die Tür hinter ihm zu: Ein einarmiger Veteran aus dem Ersten Weltkrieg. (Links und rechts der Tür Schuhkratzer mit Jahreszahl.) Es mag draußen so warm sein, wie es will, aus Kirchen schlägt einem immer Gruftkühle entgegen.

    Im Kastengestühl der Kirche hatte jeder seinen Stammplatz. Kleine schwarze Blechschilder, barocken verziert, zeigten an, wer hier saß von alters her. Matthias setzte sich weit nach hinten auf einen Platz, der zwar mit Namensschild

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