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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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essen?
    Frau Schulz, die dicke Wirtin des Schützenhofes, schwarzer Dutt und schwer zu Fuß, wollte wissen, ob Matthias der neue Lehrer sei? Ja, er sei der neue Lehrer, und sein Vater wär’ bei der Stadt beschäftigt gewesen und lebte nicht mehr, sei gefallen. Daß er aus dem Osten kam, war auch von Interesse.
    Dann erkundigte sich Matthias, ob er hier vielleicht zu Mittag essen könnte, jeden Tag, er sei Junggeselle usw. Ja, das war zu machen, aber extra kochen täten sie nicht. Er müsse eben mitessen, was es hier so gibt. An diesem Tag gab es Hühnersuppe und kleine fette Würste in Kohl. Danach Apfelkompott, dessen Schlumen Matthias am Tellerrand aufreihte. Das war das erste reguläre Essen seit längerer Zeit, mit Mensa überhaupt nicht zu vergleichen.

    Am Nebentisch saß ein Herr mit Kneifer, der war von der landwirtschaftlichen Beratungsstelle in Buxtehude. Er hielt zwei Bauern einen Vortrag über Hansa-und Grata-Kartoffeln, daß die jetzt fast nur noch angebaut würden im ganzen Kreis, man müsse sie allerdings vorkeimen in einem speziellen Raum… Daß auf dem Friedhof Leichen ausgebuddelt worden seien, das interessierte ihn, Franzosen?, noch einigermaßen erhalten?, mit noch Haaren auf dem Schädel? Daß sie beim Herausheben gräßlich auseinandergefallen wären, sagten die Bauern, und die französischen Beamten hätten geweint…

    Matthias ließ es sich schmecken. Frau Schulz sah ihm zu, wie er den Kohl und die Würste in sich hineinschaufelte. Zu bezahlen brauchte er keinen Pfennig, das wollte die Wirtin einmal im Monat abrechnen. So hatte sie es mit Herrn Schmauch auch gehalten, der sei ja öfter mal dagewesen, allerdings abends, zu Schlummertrunk und Skat.
    An der Wand hing ein Bild, das gar nicht mal so schlecht war, eine Heidelandschaft unter wolkenreichem Himmel, irgendwie modern empfunden.
    Das Bild habe von Kallroy gemalt, war zu erfahren, ein hiesiger Maler. Ernst Werner von Kallroy, er habe es ihr geschenkt, kurz vor seinem Tod. Vierundvierzig wär der ja abgeholt worden und ins Emsland geschafft und nie zurückgekehrt. Warum? Das wisse sie auch nicht so genau. Da erzähle man sich allerhand.

    Das war nun der richtige Augenblick, die Sache mit den Kegelkugeln zur Sprache zu bringen. Während sie von der Schenkung des Bildes berichtete, die ihr zuteil geworden war, würde sie vielleicht nicht abgeneigt sein, selbst etwas zu verschenken.
    «Was machen Sie eigentlich mit den Kugeln da draußen?»fragte Matthias möglichst harmlos und:«… das wär’ was für die Kinder in der Schule…»
    Er erfuhr, daß das ausrangierte Kegelkugeln seien, sie hätten sich jetzt welche aus Hartgummi angeschafft, er könnt’ sich gern welche mitnehmen.

    «Welche»? Was war das für eine Mengenangabe? Waren das drei oder vier? Also drei doch bestimmt, großzügig gerechnet fünf.
    «De könnt’ Se ruhig all’ mitnähm’», sagte Frau Schulz und räumte den Tisch ab.
    Matthias ärgerte sich, daß er gesagt hatte:«… für die Kinder in der Schule…»Das war doch wohl eine juristische Festlegung! Hier hatte er als Amtsperson gesprochen – schade!

    Er schob sein Fahrrad auf den Hof und nahm eine Kugel unter den Arm.
    Vom Küchenfenster her fragte Frau Schulz:«Na, geht das auch? Soll ich Sie helfen?»
    Es waren massive alte Eichenkugeln, das sah Matthias sofort, aus einem Stück gedreht!
    Er balancierte sie nach Hause und beschloß, auch die anderen nachzuholen, und zwar sofort, keine Minute zögern! Als Matthias eben zu Hause war, kam schon ein Auto angefahren, der Sohn von Frau Schulz brachte den Rest.
    Es waren acht Stück. Zusammen also neun. Alle Neune! Das war ein Fang!
    Warum sollten die Kinder nicht damit spielen, was sprach dagegen? Zwei-, dreimal damit spielen lassen, und dann allmählich einkassieren die Dinger.

    Vielleicht gab es in der Gegend noch andere Gasthäuser mit Kegelbahnen, die ihren Holzkugelbetrieb auf Hartgummi umstellten?

8

    A m Sonntag kochte Matthias sich ein Ei auf der linken Platte seines Doppelkochers und frühstückte unter dem Foto von Lilli, das er für diesen Zweck aus dem Kasten gekramt hatte, nach alter Sitte: Marmelade, Butter und Brot strategisch in Reichweite plaziert, den Blick auf den kahlen Schulhof. Ein Maiensonntag wie in alten Zeiten: Die Radtouren mit Lilli, an der Weser, mit Selbstauslöser fotografiert, und es war alles Licht und Luft gewesen: und später dann mal wieder an die Weser fahren und sagen: Wie waren wir damals glücklich! Es war alles

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