Heile Welt
geordnet. Er habe ihn öfter durch die Feldmark gehen sehen, stets den Kopf suchend gesenkt, gebückt also, ein sonderbares Bild, so als neige er sich voll Demut vor Gott oder vor der Natur oder vor der Geschichte, und selten ein Tag, an dem er nicht einen«Abschlag»erwischt hätte oder dergleichen. Und dann in Kästen getan, alles numeriert. – Eigentlich nicht ganz in Ordnung, so was müsse ja eigentlich abgeliefert werden. Dr. Müllermann habe schon wiederholt Andeutungen gemacht… Matthias sollte mal ein wenig die Augen offenhalten, ob die Kästen noch da seien, vielleicht läge dort in der Schule noch ein Feuersteinbeil herum, oder wie oder was, und ihm dann Bescheid sagen, und er gibt es dann Dr. Müllermann.
«Die Sammlung selbst hat er wohl mitgenommen, was?»
In Wense wohne ja auch die Tochter von Professor von Kallroy, eben jenem Maler, der die Kirche ausgemalt hat 1923. Der stehe ja in jedem Lexikon… Das Altarbild sei auch von ihm – etwas überspannt (er selbst habe zu dem Zion-Gedanken nie eine rechte Beziehung gehabt), aber malerisch durchaus in Ordnung. Die Verbindung zu Adam und Eva, zum Sündenfall -«als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann»-, in Jugoslawien, da habe er gesehen, wie zwei Bäuerinnen den Pflug zogen anstelle von Pferden, 1943 – ein uriges Bild… Man vermute übrigens, daß hinter der Altarraumausmalung noch mittelalterliche Fresken steckten… Da sei guter Rat teuer.
Er selbst habe den alten Herrn nicht mehr kennengelernt, der habe sich in der Nazizeit das Leben schwerer als nötig gemacht… Anstatt in Deckung zu gehen und in Ruhe abzuwarten?
Und hinter vorgehaltener Hand flüsterte er: Der habe sogar gesessen, zunächst in Celle und dann in Ostfriesland in einem Lager, nie herausgekriegt, wieso… Kommunist? Jude? – Nein, Jude nicht, eher Kommunist. Aber das ist ja auch nicht von Bedeutung, vielleicht irgendwas dahingesagt? 1944 ins Moorlager geschafft, und im Frühjahr 45 dann gestorben, kurz vor der Befreiung. Bei Nacht und Nebel abgeholt und nie wieder erschienen. Bedrükkend, ein solcher Gedanke!
Die Tochter, eine eigenartige Frau. Ellinor von Kallroy. Eigenartig, aber freundlich, durchaus«apart»zu nennen, freundlich, wenn man es erst einmal geschafft habe, ihr Vertrauen zu gewinnen. Und, nun ja, auch vermögend, die Bilder ihres Vaters…«Besuchen Sie sie doch einmal.»
Leider nehme sie absolut nicht am kirchlichen Leben teil.
Und dann:«Jetzt zeige ich Ihnen etwas ganz Besonderes!»
Er stoppte mitten im Wald, klatschte die Autotüren zu, und dann standen sie vor einem Hünengrab. Dieses Hünengrab war Ende des vorigen Jahrhunderts zerstört worden, weil man die Steine für den Straßenbau benötigte und für das Kriegerdenkmal in Klein-Wense. In der Nazizeit hatte man die Findlinge, soweit noch vorhanden, mit Hilfe von schwerem Geschirr und Soldaten wiederaufgerichtet. Ringsherum Bänke aufgestellt zum Absingen von Liedgut.
«Da sitzt natürlich jetzt nie eine Menschenseele… Aber immerhin. »
Zur Nazizeit sei das eine Thing-Einrichtung gewesen, Volkslieder singen, Hitlers Geburtstag und so weiter. Er habe schon gedacht, ob er hier im Sommer mal eine Abendandacht halte? Oder? Was meine er? Lieber nicht, was? Und außerdem fäng’s bei Außensachen meist an zu regnen. Es sei übrigens gar nicht so einfach, unter freiem Himmel zu predigen.
Der Pastor stellte sich vor das Hünengrab, vor die Runde der Bänke und sang:
Ach, Elslein, liebes Elslein mein,
wie gern wär’ ich bei dir!
So sind zwei tiefe Wasser wohl
zwischen dir und mir!
Er sang das voll Erinnern, und gleichzeitig machte er sich lustig über diesen Anfall von Sentimentalität, der ihn zurück in seine Jugendzeit geführt hatte, Hoher Meißner? Klappholttal? Auf alle Fälle Klampfe und Lagerfeuer.
Matthias hörte sich das ein wenig gerührt an, aber als der Pastor die zweite und dritte Strophe anschloß, war es doch ein bißchen peinlich. Vielleicht hatte es damit zu tun, daß er zwischen den Bäumen ein gebrauchtes Präservativ entdeckte.
Den Schluß der Tour bildete die kurze Besichtigung eines gut verschlossenen Schuppens, in dem der Pastor vor der Vernichtung gerettetes bäuerliches Gerät verwahrt hatte: verschiedene Spinnräder – männlichen und weiblichen Geschlechts, wie der Pfarrer scherzte -,«Bock-Räder»und«Ev’-Räder», Pferdeschuhe für die Arbeit im Moor und eine düstere Truhe mit allerhand Schnitzwerk vorne dran.
Die Truhe habe er für einen
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