Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
gekriegt! Zwei Mädchen! Allerliebst!

    Er denke eben, wenn er noch einmal auf seine Predigt zurückkommen dürfe, Thomas, der ungläubige, sei ja auch ein Zwilling gewesen. Merkwürdig, daß man nicht wisse, wie dessen Bruder geheißen habe. Manchmal gehe ihm seine Predigt nach dem Gottesdienst noch etwas im Kopf herum, sagte er und atmete tief durch… Dieses Anblasen zum Beispiel, das In-die-Hände-Hauchen, wenn einem kalt ist. So oft, so oft sei man gezwungen, sich selbst anzuhauchen, wenn man nicht erstarren wolle. Merkwürdig, daß dies in die Meßordnung der alten Kirchen, soweit er wisse, nie Eingang gefunden habe, Hand auflegen oder sogar Fußwaschungen, aber nicht das Anhauchen…

    Seine beiden Söhne, im übrigen, prachtvolle Kerle,«Schränke»von Statur, die studierten Medizin in Marburg und Kiel. Der ältere sei auch ein ziemliches Schlitzohr.
    Er selbst habe übrigens auch promoviert, und zwar zum Dr. phil. – im Krieg dann Theologie drangehängt, um von der Front wegzukommen, und das habe tatsächlich funktioniert. Dingegäb’s… Hitler habe ihn nicht gejuckt.

    Sein Steckenpferd sei Volkskunst. Er habe im Laufe der Jahre manches schöne Stück vor der Vernichtung gerettet, kürzlich erst ein ganzes Sortiment von hübsch verzierten bäuerlichen Brotschiebern. Lehrer Klein sei auf diesem Gebiet sein Konkurrent, aber der habe es mehr auf Dreschflegel abgesehen, sie hätten die Interessenssphären gegeneinander abgesteckt, er selbst sammle in erster Linie Küchengerät, alte Töpfe und dergleichen, also das, was ins Haus gehört, Kaffeekannen oder irdene Schüsseln – Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe -, Kaffeeröster aus Gußeisen, diese schweren Dinger, Holzkellen und dergleichen und so fort, und Klein habe sich auf Ackergerät spezialisiert, Dreschflegel, wie gesagt, alte Rechen und solches Zeugs… Er habe sich mit ihm geeinigt, man müsse den Dingen die Schärfe nehmen, damit nicht Unfriede sich breitmache… Dr. Müllermann komme ab und zu und sehe sich seine Schätze an.
    «Da haben Sie aber ein sehr schönes Stück aufgetan…», habe er kürzlich angesichts eines Hanfstriegels gesagt.

    Nun kam er auf seine eigenen Lehrer zu sprechen, von einem Mathematiklehrer wußte er zu erzählen, der die Jungens nur mit den Augen erzogen habe, fabelhaft! Nachts Alpträume vor dem Kerl gehabt und vor Angst geschrien, aber was gelernt. Noch heute ertappe er sich dabei, daß er sich beim Memorieren mnemotechnisch Kurvendiskussionen vor Augen halte oder ähnliches mehr, es dann aber doch lasse.

    Lehrer Schmauch sei auch ein tüchtiger Lehrer gewesen, aber ein ziemlicher Saufkopp, wenn man das so sagen dürfe. Mit der Schiebkarre hätten sie den nach Hause gefahren, die jungen Leute. Und so etwas sei eine Verunreinigung der Autorität, die leicht auch auf den geistlichen Stand ausstrahle… Im übrigen habe er ein Verhältnis gehabt mit einer Frau aus Westereistedt. Hätt’ sich immerfort an der Hexenbrücke getroffen mit ihr, nachts, im Sommer, alle hätten es gewußt, nur die herzensgute Frau Schmauch nicht… Na ja, immerzu bettlägerig, da passiert so etwas eben…
    Die andern Kollegen, mit denen es Matthias zu tun bekäme demnächst, seien auch alles ordentliche Leute. Neidholt in Westereistedt (in der Nazizeit immer vorneweg), Klatt in Ostereistedt, wahnsinnig kriegsverletzt…
    Lehrer Schmauch -«unser kleines Wense…»- sei ja nun in Pension gegangen, klugerweise an den Bodensee -«alter SPD-Mann», wie die meisten Schullehrer: entweder Nazi oder SPD, das sei die Regel gewesen. Oft beides, nacheinander.

    Die Leute in Klein-Wense seien ganz in Ordnung. Treuherzige Leute, gutartig… das einzige Dorf weit und breit, das die«Bombenschädlinge»und die Flüchtlinge nach dem Krieg, die hier mit Habchen und Pabchen angekommen seien, als Menschen behandelt hätte. Das sei nicht überall der Fall gewesen, leider, die Leute in der Börde wären der Meinung gewesen, die Flüchtlinge seien nur deshalb von zu Hause weggegangen, weil sie in Hinterpommern oder wo auch immer keine Lust zum Arbeiten gehabt hätten…
    Nicht so in Klein-Wense. Das kleine Wense, ach, ihm gehe das Herz auf, wenn er an das kleine Wense denke und an die Hausbesuche dort.

    Flüchtlinge gut behandelt, und jedes Jahr Berliner Kinder aufgenommen! Schmauch habe es gut verstanden mit den Kindern. Habe die Bauern am Portepee fassen können… Übrigens ein Sammler von Feuersteinwerkzeug. Alles sauber numeriert und in Kästen

Weitere Kostenlose Bücher