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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Appel und Ei bekommen, sagte der Pastor, irgendwann werde es ans Teilen gehen müssen, Lehrer Klein gucke schon immer, die Pferdeschuhe gehörten ja eigentlich in dessen Ressort…
    «Am besten, Sie halten sich da raus», sagte er, und damit war Matthias entlassen. Das hing vielleicht auch damit zusammen, daß seine Frau vom Küchenfenster aus Zeichen gab, das Essen stehe auf dem Tisch! Längst! Wie froh sie wohl war, daß sie die Besichtigungstour nicht hatte mitmachen müssen.

    Da Matthias nun mal in Sassenholz war, setzte er sich ins Gasthaus«Zur Linde»und trank ein Bier. Die Gaststube war gefüllt mit rauchenden, trinkenden Bauern, die sich immer noch mit Schweinepreisen befaßten. Das Bier zapfte eine junge Frau mit rötlichem Haar und tragischem Gesichtsausdruck.
    Mit dem Wirt, der riesige Füße hatte, war ein Gespräch über Kegelbahnen zu führen, über neue und über alte. Lustige Vereinsnamen:«Rollendes Glück»,«Favoriten»,«All to hop». Seine Bahn verfüge über eine automatische Kegelaufstellung, sagte der Wirt, und er zeigte sie Matthias, der gar nicht glauben konnte, daß es so was Praktisches gibt – vielleicht dachte er, Matthias wollte einem der Kegelklubs beitreten? Auf der Rinne lagen nagelneue Hartgummikugeln, das sah er sofort.
    «Was haben Sie für schöne Kugeln…?»sagte Matthias, und schnell war herauszubringen, daß die alten ausrangierten bereits in der Holzkuhle lagen. Und Matthias konnte sie haben! Fünf Mark das Stück. Bezahlen eilt nicht… Er käme ja jetzt sicher öfter.

    Eine der Kugeln nahm Matthias gleich mit, die anderen würde er später holen…
    Als er mit der Kugel unterm Arm aufs Fahrrad stieg, kam es Matthias so vor, als ob sich im Pastorat was regte. Der Pastor hielt offenbar Ausschau, was er da auf seinem Rad verstaut, und nun schlug er sich vor die Stirn: Kegelkugeln! Daß er darauf nicht gekommen war! Brauchtum! Kegelkugeln gehörten doch zum Brauchtum! – Dieser Sonntag war im Eimer, soviel war ihm klar:«Wenn du mich nicht gedrängt hättest, Annegret, dann wär’ ich noch dazwischengekommen», sagte er zu seiner Frau.«Hättest du mit dem Essen nicht noch einen Augenblick warten können? – Oder ihn einladen? Nun ist alles verdorben.»

9

    A m nächsten Morgen wusch sich Matthias von Kopf bis Fuß, denn heute würde es ernst werden mit dem neuen Lebensstart. Der Spitz wurde besonders freundlich empfangen, er bekam eine reichliche Wurstration, und dann wusch er sich; beim Zähneputzen ließ er keinen Zahn aus. Ein frisches Hemd zog er sich an, und dann nahm er die Hamburg-Krawatte – auf der Straße gekauft für zwei Mark fünfzig – und knüpfte sich den Windsorknoten. Hierbei guckte er aus dem Fenster, und er hatte Glück, er sah Carla, die schwarzhaarige Bauerstochter, auf den Trecker steigen. Sie setzte sich in den Schalensitz, der mit einem alten Sack ausgepolstert war, drückte aufs Pedal, daß es blau aus dem Auspuff puffte, und fuhr los.
    Hatte sie denn zu ihm hinaufgeguckt?
    Die Locke, die ihm seit Kindheitstagen ständig in die Stirn fiel, feuchtete er an und kämmte sie zurück. So wirkte er seriöser.

    Matthias kehrte ein paar welke Blätter zusammen, die noch vom vorigen Herbst auf dem Fußboden seiner Kammer lagen, und dann frühstückte er ausgiebig. Rührei hatte er sich gemacht, mit Speck, an einem solchen Tag ordentlich was einschieben! Das war wichtig. Zwischendurch stand er auf, holte dies noch und das, blätterte in den«Richtlinien über den Volksschulunterricht», setzte sich, stand wieder auf, nahm einen Streifen aus weißem Zeichenkarton und notierte sich den Unterrichtsverlauf, wie er das im Landschulpraktikum immer getan hatte. Für die drei Schülergruppen, die es gleichzeitig zu unterrichten galt, drei Rubriken nebeneinander, die«Lehrlinge», die«Gesellen»und die«Meister». Hier mußte differenziert werden, sonst würde man Schiffbruch erleiden. Die«Vorbesinnungen», die zu jeder ordnungsgemäßen Unterrichtsvorbereitung gehörten, ließ er erst mal fort: Die didaktische, methodische und psychologische, so wie das auch in den«Richtlinien»als selbstverständlich und für jede Stunde zwingend gefordert war. Das würde man dann später regelmäßig machen, wenn man erst mal weiß, wie der Hase läuft.
    Noch einen Schluck Kaffee. Unten auf dem Hof belebte sich die Szenerie, da kamen einzelne Schüler, zu zweit und zu dritt, lugten unter den Brauen zu ihm hinauf.
    Noch fünf Minuten.
    Matthias unterdrückte ein

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