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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zeigen soll, und da Matthias im Augenblick keinen Wert darauf legte, lud er ihn zu nächste Woche Mittwoch ein zu Kaffee und Kuchen, und überhaupt, Rat und Tat und so weiter, jederzeit.
    «Wenn Sie irgend etwas brauchen…», sagte der Mann mit nunmehr bereits Wasser in den Augen und bekümmertem Blick, und er rühmte den Kollegen Schmauch, der die Schule in Klein-Wense immer so gut in Schuß gehalten hatte und ein so lieber Kollege gewesen sei…, was einen erneuten Tränennachschub verursachte und das Ziehen des Taschentuchs.«Unser kleines Wense…»Nur leider’n bißchen zu durstig allewegen.
    Die Lehrer hätten übrigens ihren Platz auf der Empore, jetzt alle schon das Weite gesucht.

    Der Pastor verabschiedete den Lehrer Klein, denn der einarmige Küster schaltete bereits die Altarbeleuchtung aus.
    Lehrer Klein habe es furchtbar schwer, sagte er zu Matthias, einen kranken Sohn und eine schon seit Jahren hinfällige Frau… Ein ordentlicher Mann im übrigen, ein Lehrer alten Stils. Manche Menschen zögen das Unglück ja direkt an… – Und dann drückte er Matthias in seinen Volkswagen und begann die Besichtigungstour, die er schon so manchem Junglehrer hatte angedeihen lassen: Zunächst ging’s durch das Dorf -«Hier hat jedes Haus seine Geschichte»- und dann ganz allgemein durch die Gegend, im Kreis und radial. Auch an der Schule fuhren sie vorüber, auf deren Hof sich Kollege Klein aufgestellt hatte und mit der Gartentür wedelte…

    In Sassenholz gab es neben stattlichen Bauernhäusern – allesamt größer und stattlicher als in Klein-Wense – runde Backöfen und ein Fronhus zu sehen, in dem, wie ein Teil der Dorfbewohner meinte, jahrhundertelang der Zehnte abgeliefert worden war, der«Fron»eben. Dr. Müllermann jedoch, der Kreismuseumswart, vertrete die Ansicht, die Bezeichnung«Fronhus»leite sich von«Frauenhaus»her, und das habe etwas mit der Gottesmutter zu tun:«Unsere liebe Frau». Das Fronhus habe wahrscheinlich zum Kloster Kreuzthal gehört, eine Dependance. Vielleicht existiere sogar noch eine unterirdische Verbindung irgendwie? Oder habe existiert? Da mal nachbohren: oder ein spezieller Richtweg durch den Wald, eine Art Trampelpfad?

    Er für seine Person neige ebenfalls der Ansicht zu, daß der Ausdruck«Fronhus»von«Frauenhaus»komme, sagte der Pastor. Er sähe die kleinen niedlichen Nonnen manchmal direkt vor sich, wie sie zum Brunnen trippelten, das eine oder andere Gefäß in der Hand… Die Bilder, die Dr. Müllermann auf dem Dachboden der Kirche gefunden habe, die Kreuzstationen, sprächen im übrigen dafür, daß Sassenholz eine ziemliche Vergangenheit habe. Nun, wie auch immer. Wer kenne sich da aus.

    Neben dem«Fronhus»wurde ein Haus gebaut, ein Richtkranz hing an dem Dachstuhl. Vorher hatte hier ein«Offiziershaus»gestanden, mit Renaissance-Kamin und stuckverziertem Saal. Das war just abgerissen worden. Etwas schief und krumm, aber so etwas reiße man doch nicht ab! – Uralte Familie, und natürlich absolut gesoffen die Herrschaften, aber im Landesarchiv sei’s nachzulesen, daß einer der Vorfahren mit Stolberg befreundet gewesen sei und der wiederum mit Goethe… So was kann man doch nicht einfach abreißen? Nur weil’s’n bißchen zieht und ohne Klo?

    Von einem Reiherhorst erzählte er sodann, den sie sich später mal ansehen könnten, und von der Wolfskuhle, an der nichts Besonderes zu sehen sei. Irgendeine alte Sage, weiß der liebe Himmel, was daran wahr sei. Im Becker-Schaumbach stehe nichts davon. Dort drüben übrigens -«Sehen Sie die grüne Hütte?»-wohne ein Schriftsteller, ein sonderbarer Heiliger, aber erfolgreich, Alexander Sowtschick, der schon einen Bestseller gelandet habe. Aber kein Kirchgänger und jeglichen Kontakt meidend.
    «Steht er da nicht? im Gebüsch? da hinten links?»Ortlepp fuhr langsamer, aber es war nichts auszumachen.

    Da der Pastor es nicht schaffte, mehr herauszuholen aus Matthias als eben dessen Namen und«Wo studiert?», das bißchen Heimatstadt und daß der Vater Beamter bei der Stadt gewesen sei, gab er von sich selbst allerhand preis, so zum Beispiel, daß seine Tochter, dieses Schlitzohr, einen Mathematiker geheiratet habe, Professor an der berühmten Stanford University, leider von einer Schuppenflechte geplagt, die neuerdings mit Eigenurin behandelt werde… -«jeden Tag das Bett mit dem Staubsauger aussaugen! »Die lebe also in den USA. Erst Pädagogik studiert und dann einen Professor geheiratet – und prompt Zwillinge

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