Heile Welt
Vielleicht ein Eichentisch, mit gedrechseltem Fuß, und das Tellerbord aus Carlas Küche und ein Webstuhl? Ohne Zweifel würde Pastor Ortlepp etwas dazu beisteuern und auch der Schulmeister in Sassenholz. Schließlich wäre das Ganze auch für den Kreismuseumswart nicht ohne Interesse, davon war auszugehen.
Im Hintergrund des Stalls stand ein übergroßes rundes Gefäß, aus Stroh geflochten; ein Getreidemaß, ein Scheffel, jetzt eine Mäusearena. Sehr schön in seiner reinen geometrischen Form, aber eben: ziemlich groß, für eine Heimatstube zu sperrig. Was wäre damit anzufangen? Was sollte man hineintun?
Matthias beschloß, eine seiner Kugeln zu holen, um zu sehen, wie sie sich ausnimmt neben dem Prachtstück von«Koffer». Kegeln interessierten ihn nicht, aber Kugeln! Für Kugeln würde er sonstwohin fahren.
Als er eben die Stalltür öffnen wollte, hörte er Stimmen: ein junger Mann und ein Mädchen. Sie hatten den Lichtschein im Stall bemerkt und wollten sehen, wer sich da wohl mitten in der Nacht zu schaffen macht.
Matthias hielt den Atem an, und die beiden da draußen taten es auch.
Schließlich sagten sie zueinander, daß das wohl nichts gewesen ist, da drin, und setzten sich hin, mit dem Rücken zum Stall, und flüsterten miteinander. Sie lachten leise:«Ierst fåt’ ick di hierhen und denn… dorhen», sagte das Mädchen, und der Mann antwortete:«Un denn fåt’ ick di hierhen und denn…. dorhen!»
Matthias wäre gern wieder ins Haus zurückgegangen, aber wie hätte er das anstellen sollen? Die Tür aufstoßen und da breit reinplatzen in die Turtelei?
Am anderen Ende des Stalls war noch eine Tür, das hatte er gesehen. Er tastete sich allmählich in die Richtung vor, und als er sie endlich erwischt hatte, fiel es ihm ein, mit verstellter Stimme gellend zu lachen und an die Stallwände zu schlagen mit einem Scheit und nach draußen zu rennen in die Dunkelheit und immer weiter völlig irre zu lachen!
Als er wieder im Haus saß, stellte er sich vor, wie die jungen Leute sich wohl erschrocken hatten und bleich mit der Hand nacheinander getastet. Die mußten ihn ja für den Teufel gehalten haben. Vielleicht würde das Mädchen einen Eischock davontragen und der junge Mann partielle Impotenz? Fürs ganze Leben ruiniert? Da muß dann immer einer gellend lachen, damit es zu einer Erektion kommt?
Wie schade, daß er Carla nichts von diesem Spaß erzählen konnte. Dieses Erlebnis würde ein Geheimnis bleiben, denn auch die jungen Leute würden niemanden haben, dem sie davon erzählen konnten, jedenfalls nicht in allen Einzelheiten. So etwas behielte man besser für sich.
13
D er Sonnabend kam heran, und mit ihm der Besuch im Kallroy-Haus. Die beiden letzten Unterrichtsstunden der Woche waren wie in allen Dorfschulen von alters her landauf, landab dem Zeichenunterricht vorbehalten, was jetzt offiziell«Kunsterziehung»hieß. Sonnabends in den letzten beiden Stunden war Zeichnen, damit klang die Woche aus.
Matthias veranstaltete ein Zeichendiktat, dessen Thema und Gestaltung er Werkblättern für den Zeichenunterricht entnommen hatte, Blatt sechs war noch nicht angekreuzt, das hatte sein Vorgänger also noch nicht durchgenommen:«Blütenzweige im Krug»hieß die Aufgabe, die von allen Schülern nach genauer Vorgabe zu lösen war.
Zunächst wurden die Zeichenblätter grau eingefärbt, damit ging schon mal eine halbe Stunde hin. Einen Krug mit in die Klasse zu bringen, davon war abgeraten worden in dem Merkblatt, das hätte die Phantasie zu sehr eingeengt. Deshalb formte Matthias einen bauchigen Krug in die Luft.
«Aus der Grundfläche wächst er heraus, schwingt sich dann breiter auf, rundet sich voll, zieht sich ein und wächst im Hals aus, leicht ausschwingend… »
Als er die Form des Kruges zum drittenmal mit beiden Händen in die Luft rundete, mußte er an ganz etwas anderes denken, die Kinder ja vielleicht auch.
Sodann wurden die Pinsel eingetaucht: Die Umrisse des Kruges gelangen den Kindern auf Anhieb, dem einen dicker, dem anderen dünner, also durchaus individuell. Dann wurden sie mit ungemischter Farbe sattgrün ausgemalt. Mit entschlossenen Strichen wurden Zweige hineingestellt und mit Deckweiß Blüten draufgetupft, auf dem grauen Hintergrund sah das meisterlich aus.
Am Ende wiesen alle Schüler so ziemlich das gleiche Resultat vor, die Jüngeren etwas primitiver, die Großen schon eindrucksvoller. Matthias war sehr stolz auf sich, ein solches Ergebnis war nicht zu erwarten
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