Heile Welt
gemalten.
Matthias sah sich in aller Ruhe um. Von der Halle aus ging der Blick links und rechts in Nebenzimmer mit Bildern an der Wand, von denen, da konnte man sicher sein, weitere Zimmer abgingen, ebenfalls mit Bildern dicht an dicht.
«Dies ist ja ein kleines Schloß!»sagte Matthias. Und jetzt fiel ihm der Kamin auf, der mit einem Fresko bedeckt war: Jünglinge und Jungfrauen, sich aus Flammen entwickelnd. Ein Gemälde, das bis an die Decke reichte!
Die junge Frau hatte es sich unter dem Bild ihres Vaters bequem gemacht, nicht viel hätte gefehlt, und sie hätte die Beine unter sich genommen! Matthias verglich sie mit dem Porträt ihres Vaters, der runde Kopf mit den kurzen Locken, die randlose Sonntagsbrille auf der Nase, und auf den Ohrläppchen Flußperlen. Absolut nicht pfiffig, eher etwas ratlos. Und ganz ohne Lichtschalter, den man hätte aus-und anknipsen können. War denn der Saum ihres Rockes ausgerissen? – Das Gesicht hatte sie sich mit einer Bräunungscreme eingeschmiert, aber den Hals nicht.
Sie legte Matthias mit einem speziellen Löffel etwas Sahne auf den Tee und war mal neugierig, ob er wohl umrühren würde. Nein, er tat es nicht, das hatte er bei Lilli gelernt. Er war zwar Dorfschullehrer, aber noch lange kein Banause. Die Sahne fiel auf den Boden der Tasse und stieg dann auf wie ein Atompilz.
Beinahe hätte Matthias von den kunsterzieherischen Versuchen des Vormittags gesprochen, daß die Kinder blühende Zweige gemalt hätten in einem bauchigen Krug. Aber angesichts von so viel Kunst ließ er das lieber bleiben, damit wäre er hier nicht gut angekommen… Wer wohl den Kunstkalender über den Flügel gehängt hatte, fragte er sich.
Ellinor von Kallroy bezeichnete Klein-Wense als Giftküche, in der Matthias nun das Pech habe, die Dorfkröten unterrichten zu müssen. Anderer Leut’s Kinder erziehen! Schrecklich! Auf dem Bahnhof, vor vierzehn Tagen, habe sie gleich gesehen, wes Geistes Kind er sei. Und sie habe gedacht:«Der Arme!»Komme er sich nicht deplaziert vor in diesem Kaff? Herabgewürdigt zu einer anachronistischen Existenz?
Um ihm den Anfang etwas leichter zu machen in diesem Spinnennest, habe sie ihn hergebeten, das wär’ der Anlaß für die Einladung, und sie freue sich, daß er auch tatsächlich gekommen wär’. Sie selbst sei hier auch ziemlich isoliert: Seit dreiunddreißig Jahren lebe sie jetzt ununterbrochen hier, abgesehen von der RAD-Zeit, und sie könnt’ ihm was erzählen! Im Dorf ließe sie sich so gut wie nie sehen. Nur eben mal zum Kaufmann – einmal pro Woche, das sei so ziemlich alles, was sie mit dem Dorf verbinde. Mit dem Dorf sei sie fertig.
«In Klein-Wense ist einer dem andern sein Deibel… Ein Giftnest ist das.»Außerdem spuke es hier. Junge Leute hätten erst vor ein paar Tagen Ungeheuerliches erlebt, ganz in seiner Nähe übrigens, das sei ihr erzählt worden, bei Vollmond, unheimliche Geräusche und teuflisches Gelächter. Sie selbst habe ständig das Gefühl, es beobachte sie jemand von gegenüber: im Gebüsch am Fluß säße der…
Den Pastor in Sassenholz nannte sie einen Quatschkopf mit Plattfüßen, der habe in seinem VW schon so manches Kind gezeugt, vom Bischof bereits mehrmals verwarnt… Er habe den Tod ihres Vaters vereinnahmen wollen, am Volkstrauertag, wer sein Leben hingibt für seine Freunde, so in diesem Sinn. Er habe wohl gehört von dessen Schicksal? Wegen der paar Leutchen, die ihr Vater zeitweilig illegal verborgen hätte, wär er damals abgeholt worden und ins KZ geschafft, irgendwie denunziert.
Sie stand auf, nahm die Kugel aus dem Kohlenkasten und wog sie in der Hand, ziemlich schwer das Ding…
Dann und wann fahre sie mal nach Sassenholz hinüber, sie müsse in der Kirche nach den Bildern ihres Vaters sehen, und da lasse sich ein Zusammentreffen mit dem ausgequatschten Idioten nicht immer vermeiden. Der solle sich lieber kümmern um die Polensache, um diesen armen Jungen, den sie aufgehängt hätten, das werde ja absolut totgeschwiegen…
Und sie erzählte von der«Rassenschande», die der junge Pole begangen hatte, ein Bauernmädel geschwängert, deren Verlobter an der Front stand. Man hatte ihr die Haare abgeschoren und sie zusammen mit dem Polen durchs Dorf getrieben und ihn dann aufgehängt. Alle hatten zugucken müssen.
«Ja, auch das ist Klein-Wense.»
Neulich habe der Pastor sie um ein Bild ihres Vaters für den Konfirmandensaal angehauen, das habe ihr noch gefehlt.
«Die Kirche zu allerletzt!»
Auf
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