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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Trecker sein puff-puff-puff von sich gibt.

    Matthias holte die Posaune von unten aus der Schulklasse und blies ein paar Töne darauf, schob den Zug hoch und runter und sah dabei in den Spiegel. Ein bißchen wie Glenn Miller kam er sich vor, aber bis zu dem war es noch weit. Dann nahm er einen Lappen und Sidol und begann sie zu putzen. Erst mal putzen das Dings, das Spielen würde man schon noch lernen.

12

    In der Nacht konnte Matthias nicht schlafen, er lag auf dem Rücken und starrte vor sich hin. Das bleiche Mondlicht an der Wand, wie Blinkzeichen an/aus: Wolken, die über den Himmel jagten und sich vor den Mond schoben. Er trat ans Fenster und sah auf den Hof hinunter, der Birnbaum warf Schatten, wie eine Monduhr an/aus – an/aus, und die Klotüren klappten, auf/zu – auf /zu…, für die war keiner zuständig.

    Obwohl ja niemand im Haus war, schlich er hinunter, leise, leise, von jedem Knacken der Treppe zusammenzuckend. Vielleicht wachte Carla drüben in ihrer Butze davon auf und dachte: Was hat der Schulmeister vor, was tapert er da herum?

    Seine kleine Wohnung, gänzlich leer, die Küche leer; ein Brot, ein Stück Butter, eine halbe Wurst und die Doppelkochplatte, weiß emailliert, fünfzehnhundert Watt, sechsstufig regelbar. Eine einzelne Platte hätte eigentlich genügt für das bißchen Spiegelei.
    Im blauen Zimmer die Kugeln, zur Pyramide gestapelt. Kanonenkugeln auf der Festung Ehrenbreitstein. Uneinnehmbar, unzerstörbar. Feuer an die Lunte. Münchhausen schwingt sich auf die fliegende Kugel.

    In der Veranda der Bücherschatz des Lehrers auf dem Fußboden, seit 1906 nicht angetastet, der Schatz würde ungehoben bleiben. In die Klasse ging Matthias nicht hinüber, er hatte die Klinke schon in der Hand… – das nicht tun, das war nichts für die Dunkelheit.

    Es zog ihn hinaus auf den Hof, er konnte nicht widerstehen, er mußte sich die Bürgermeistertruhe noch einmal angucken, drüben im Stall.
    Wie ein Beschließer kam er sich vor, der mit den Schlüsseln in der Hand nach den Gefangenen sehen muß.
    Als er die Stalltür öffnete, raschelte ein Tier hinaus, huschte wie Satanas an ihm vorüber. Herrgott, die ganze Natur geriet in Aufruhr! Was hatte er hier draußen auch zu schaffen, zu nachtschlafener Zeit?
    Er zog die Tür hinter sich zu und beleuchtete den«Koffer»mit der Taschenlampe. Er leuchtete mal hierhin und mal dorthin. Kein Zweifel: Die Schäden waren minimal, eines der Herzen zur Hälfte abgefallen, der Deckel in den Angeln ausgerissen, das würde zu reparieren sein.
    « Jf . Lucies, 1789 »
    Weiß in ihrem Hochzeitskleid, den weißen Kranz um den Kopf, so liegt sie ausgestreckt in der Kiste, hatte man ihr die Hände gefaltet?
    Auch das Schloß war in Herzform gearbeitet, der Schlüssel steckte.

    Der Stall war geräumig, die Fächer der Wände waren mit dünnen Knüppeln ausgeflochten, mit Lehm bestrichen, weiß gekalkt. Er könnte als Heimatstube dienen, dachte Matthias, am Ortseingang müßte ein grünes Schild: HEIMATSTUBE darauf hinweisen, mit Pfeil, Eintritt fünfzig Pfennig. Wenn die Truhe wiederhergestellt wäre, altes, selbstgewebtes Leinen kaufen oder sich schenken lassen und das dann da hineintun. Und im Schlüsselfach alte Schlüssel sammeln. Kurze dicke und lange mit treppenförmig gezacktem Bart.
    Ein Bockrad auf die linke Seite stellen, und auf die rechte ein Ev’rad. Und die Truhe als Prachtstück in die Mitte dazwischen und darauf vielleicht Zinnteller in Drahthalterung, schräg. Und wenn dann Leute kämen, aus der Stadt, die wissen wollen, wie Menschheit früher einmal gelebt hat, denen das dann zeigen.
    Aber die Kugeln? Was war damit anzufangen? Für Kugeln gab es hier keine Verwendung.

    Matthias überlegte, ob man die Jugend des Dorfes nicht dafür gewinnen könnte, an bestimmten Tagen hier zusammenzukommen, in ländlicher Tracht, in Pumphosen die Jungen, hochgeschnürt die Mädchen? Volkslieder singen. Volkstänze tanzen. Trotzig mit den Füßen aufstampfen und wegwerfende Gesten machen? Vielleicht gäbe es spezielle Lieder in dieser Gegend? Die dann ausgraben, und wenn’s keine gibt, sich welche ausdenken…
    Rosemarie, Rosemarie – sieben Jahre mein Herz nach dir schrie…
    Am Lagerfeuer Lieder singen, Sagen erzählen und vielleicht sogar ein Theaterstück aufführen:«Die Franzosen in Klein-Wense», so in der Art irgend etwas.

    Ein solches Heimatstuben-Unternehmen würde nur zu realisieren sein, wenn sich sehr viel mehr«Altertum»zusammenfände.

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