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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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behalten hatte, nicht mehr. Matthias wußte ja selbst nicht, wieso er die Dinger einsammelte. Sie gefielen ihm, das war alles. Im übrigen war es ihm so, als hätten in der Schachtel Marmeln gerollt.
    Marmeln, Kegelkugeln oder die blanken Kugeln aus ausgelaufenen Kugellagern, die hatten es ihm angetan, nicht Bälle. Mit Bällen hatte er sich noch nie befaßt, die verloren nach einiger Zeit Luft und kriegten Beulen. Als Kind hatte er Porzellankugeln besessen, die waren sein Schatz gewesen, niemand rangelassen, aber auch niemals damit gespielt. Er hatte sie gehabt, das war es.

    Neben der Tür hing ein Ständer mit runden Holzbrettchen und Holzlöffeln, darüber konnte schon eher Auskunft gegeben werden: Carla bezeichnete den Ständer als«Altertum», der habe da schon immer gehangen, und im Krieg waren die Brettchen und die Löffel sogar noch benutzt worden, die französischen Gefangenen hatten sich darüber amüsiert. Im Sommer auf dem Hof gesessen und Lieder gesungen, lustige, aber auch traurige – so viel Jahre von zu Hause weg?

    Matthias äußerte sich nicht über seine Vorliebe für Kugeln. Und daß sie tatsächlich noch in einer Butze schlief, mit Tür zum Zuschieben davor und Fenster zum Stall, was in früheren Jahrhunderten mal ganz praktisch gewesen sein mochte, wie bei Hänsel und Gretel also, das erzählte sie nicht. Dr. Müllermann vom Kreismuseum hatte sich schon danach erkundigt… Immer wieder drängte sie ihren Vater, das Ding rauszureißen, das war doch kein Zustand, ein reguläres Bett mußte her, das Gelumpe mußte verschwinden. Eine Dusche hatte sie schon durchgesetzt, aber ein neues Bett würde schwierig werden, denn in der Butze war die Mutter gestorben vor vierzehneinhalb Jahren.

    Der neue Lehrer interessierte sich also für«Altertum». Das war ja sehr interessant. Das Thema gab was her.
    Beim Bauern Up de Hœcht sollte er mal gucken, das ganze Haus wär’ wie ein Museum, da ginge Dr. Müllermann ein und aus, die Diele voller Truhen und großer Schränke, und ein Webstuhl, auf dem im Krieg noch gewebt worden war. Dr. Müllermann und Pastor Ortlepp träfen sich dort ab und zu.
    Dr. Müllermann habe immer wieder gesagt:«Das geht nicht, das geht nicht, daß Sie das alles horten hier… Wenn’s nun mal brennt? Das ist doch unverantwortlich!»Aber Up de Hœcht rückte nichts heraus, weder der Alte noch der Junge. Das hatte was mit Ahnen zu tun, die dort noch hoch im Kurse standen.
    Unter dem Haus ein großer Keller aus Feldsteinen gemauert, direkt unheimlich! Mit Lehrer Schmauch waren sie mal dort gewesen, hätten sich die«Koffer»angesehen und Schränke. Schmauch hatte lange bitten müssen, in der SPD gewesen vor dem Krieg. Und Up de Hœcht in der Partei. So was ging nicht zusammen.
    An den finsteren Keller erinnerte sie sich noch, rußig und voll Dreck, mit einem Schlupfloch als Zugang. Der hätte schon längst zugemauert gehört, da kann ja sonst was passieren.
    Carla hatte das Abwaschen erledigt, sie wischte sich die Hände ab an einem abenteuerlichen Handtuch. Nun hätten die zwei noch etwas miteinander reden können, ob er täglich etwas Milch kriegen kann zum Beispiel, und Eier und vielleicht mal eine halbe Wurst? Aber die Plauderstunde wurde durch den kreischenden Alten beendet, der hereinstolperte und die Frage stellte, was denn das für eine Versammlung ist?

    «Also dann: tschüs!»hieß es, und Matthias strebte, von dem springenden Spitz umbellt, dem nochmaligen Studium des Briefes zu, der nun schon eine Stunde auf seinem Tisch lag. Mal angukken, ob man da nicht was übersehen hat.
    Matthias nahm ihn zur Hand und legte sich aufs Bett. Der Brief zeigte ihm an, daß das Leben weitergehen würde. Und als er daran roch, kam es ihn zärtlich, ja heimatlich an. Und dann sah er Ellinor mit ihrem kurzen Kraushaar und etwas pummelig ins Auto steigen. Und er sah, wie sie ihn im Rückspiegel musterte.

    Zum«Tee»eingeladen zu werden, und zu um halb fünf Uhr, ließ auf bürgerlichen Zuschnitt schließen, auf Bildung und städtische Lebensart. Zu bedauern war es, daß kein Lexikon zur Hand war, im Schülerlexikon unter K würde der Name«von Kallroy»nicht verzeichnet sein. Dazu hätte man wohl den zwanzigbändigen Brockhaus gebraucht oder ein spezielles Künstlerlexikon. Schade, sonst hätte man sich ein wenig vorbereiten können auf die Teestunde.
    Auch an Carla dachte er flüchtig, aber nur flüchtig. Er sah sie sich setzen auf den Fahrersitz vom Trecker und wie sie aufs Gas tritt und der

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