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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gewesen. Er spannte eine Leine und hängte daran sämtliche Bilder auf, wozu er Wäscheklammern benutzte. Die Rechenkünstlerin Elfriede erregte allerdings seinen Unwillen, sie hatte den Krug erwachsenenhaft abschattiert, das wirkte irgendwie abgekuckt, aber dagegen ließ sich nichts machen. Der Vater war Malermeister, der hatte die Schwalben im Windfang verbrochen, daher rührte wohl ihre Eigenwilligkeit. Also auch dieses Erzeugnis loben und ebenfalls aufhängen.
    Was hatte Petersen geraten?«Beim Lob können Sie ruhig dick auftragen, beim Tadel müssen Sie sehr fein dosieren.»
    Die kleine Marianne hatte sich als einzige überhaupt nicht an das«Diktat»gehalten, sie hatte ihre Katze gemalt. Auch sie wurde gelobt. Aber was der dunkle Klecks in der rechten Ecke sollte, war nicht recht einzusehen.«Das ist der Mann, der immer die Kohlen bringt», sagte sie, und das mußte man im Sinne des Freischaffens irgendwie gelten lassen. Dies Bild nahm Matthias an sich.

    Der Rest des Vormittags ging hin mit«Bücherei»und«Sparen». Dann hieß es: einpacken! Und Matthias stellte sich an den Ausgang und gab jedem Kind die Hand. Elfriede bekam ein Kärtchen geschenkt, darauf stand:«Beste Kopfrechnerin Deutschlands.»Knickse und Diener: Die erste Woche war rum. Es hätte schlimmer kommen können.

    Am Nachmittag bereitete Matthias sich intensiv auf den Besuch bei Ellinor von Kallroy vor. Er schrubbte seine schönste Kegelkugel sauber. Das war das richtige Geschenk für die Künstlertochter in ihrer Villa an der Eische. Eine allumfassende Kugel, wie die Erde oder das Universum, gewichtig in der Hand liegend und jedem Betrachter angenehm. Zeitlos und irgendwie – ewig. Sie war aus verschiedenfarbigen Eichenstücken zusammengesetzt, das war deutlich zu sehen.
    Als die Zeit gekommen war, klemmte er sich die Kugel unter den Arm und fuhr zum Künstlerhaus. Leider lauerte ihm der Spitz auf, der hatte sich schon vorbereitet auf eine längere Tour, und er blieb direkt an Matthias dran, unablässig bellend.

    Eine hundertstel Sekunde vor halb fünf langte Matthias an, und er wurde auch gleich begrüßt von der jungen Frau, die im Vorgarten stand und Blumen schnitt. Gerade hatte sie einen wichtigen Besuch verabschiedet, einen genialen Dramaturgen aus Bremen, der sich Anregungen für ein Ballett holen wollte. Eben grüßte er noch einmal aus dem aufgerollten Verdeck seiner«Ente»heraus, und dann fuhr er elegant davon.

    «Na?»sagte die junge Frau, als er mit der Kugel unter dem Arm vom Rad stieg,«Sie sehen ja aus wie Hans im Glück!»
    Weil der Spitz immer noch wie rasend bellte, bückte sie sich, als ob sie einen Stein aufhebt, was das Tier zu augenblicklicher Flucht veranlaßte, mit eingezogenem Schwanz.
    Dies war nun sehr lustig, und so betrat man das große Haus lachend, und dann fragte es sich: Wohin mit der Kugel? Die junge Frau legte sie mal hierhin, mal dorthin, aber sie blieb nirgends ruhig liegen.«Also in den Kohlenkasten damit», später würde sich schon noch ein Platz finden.

    Einen Augenblick waren die beiden Menschen nebeneinander in einem großen Spiegel zu sehen, aber Matthias guckte nach links und die junge Frau nach rechts.

    Dann saßen sie in einem Erker, der sich in den Garten vorbauchte, sie auf einem Sofa, neben sich eine Katze mit rotem Halsband, an dem ein Glöckchen hing, er in einem quietschenden Korbsessel. Die Tasse des Dramaturgen wurde zur Seite gestellt. Ein Mann, der ihr die Bude einrannte, wie sie sagte, und es wurde neu aufgedeckt, und der Tee dampfte in Schalen, dazu pingelte aus dem Grundig-Plattenspieler eine sanft verhottete Bach-Partita – die Schallplatte drehte sich gleichmütig unter dem durchsichtigen Plastikdeckel des Geräts.

    Im Erker saßen sie und schlürften Tee aus Tassen, die nach einem Entwurf des Künstlers angefertigt worden waren, dreieckig die Kelche und viereckig die Untertassen. Nur noch wenige Exemplare hatten die Zeiten überlebt, im Krieg war das letzte sechsunddreißigteilige Service zugrunde gegangen, in Berlin, im Februar 1945. Über dem Sofa hing ein Porträt Ernst Werner von Kallroys, in eben diesem Erker sitzend, studiert in Paris und Karlsruhe, umgekommen beim Torfstechen in einem KZ-Lager: ein pfiffiges Gesicht, mit Hut und Schlips unterm Pullover. Neben dem Gesicht war ein Lichtschalter zu erkennen, komisch deutlich betont. Und links neben dem Bild saß ein echter Lichtschalter, es war derselbe wie auf dem Bild, wie eine Doublette saß er da, genau neben dem

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