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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Mittelpunkt des Dorfes gewesen, die Frauen hatten in Wäschekörben Brotlaiber gebracht und zu Festtagen Bleche mit Kuchen. Als Matthias in das Häuschen trat, bot sich ihm ein tagebuchreifes Bild: Das Mädchen saß am Küchentisch bei Schmalzbrot und Zucker und las ihren kleinen Brüdern aus dem Gesangbuch vor.
    «Wisst du de Eier betåhlen?»fragte sie, und er dachte:«Das ganze Backhaus ins Museum stellen, so wie man es mit Negerhütten in Bremen tut, und die Kleine engagieren, die den Brüdern was aus dem Gesangbuch vorliest, jede Woche Donnerstag. So etwas kriegte doch niemand in der Welt zu sehen!

    Er holte Brikett vom«Landhandel»und Holz aus dem Wald.«De Liehrer kümmt!»wurde nicht mehr gerufen, wenn man ihn sichtete, ganz im Gegenteil. Nur der große Junge Hinni, der ihm mal auf einem Trecker entgegengefahren kam, obwohl er doch erst dreizehn war, machte einen Bogen um ihn. Dem wurde ein wenig mit dem Finger gedroht.
    Für den Lehrergarten spendierte Hinnis Vater kurz darauf eine Fuhre Mist, die sein Sohn sogar untergrub – obwohl schon etwas spät im Jahr -, weshalb er dann das nächste Mal mit seinem Trecker keinen so großen Bogen mehr um den Lehrer zu machen brauchte.
    Der Hausbau des Landhandelsbesitzers, dessen Heuwender noch immer auf dem Bahnhof in Kreuzthal standen, ging flott vonstatten. Das alte Bauernhaus hatte der Landhändler geopfert, das Haus der Väter, um endlich besser ins Geschäft zu kommen, die Trümmer lagen noch immer im Gebüsch, und fünf Platanen der Allee waren gefällt worden. Der Obstgarten aber, hinterm Haus, wurde nicht angetastet, da sollte später der Erweiterungsbau entstehen. Jetzt eben war man dabei, einen zweiten blank-metallenen Siloturm zu errichten, für Hühnerfutter oder Dünger.
    Matthias guckte ein Weilchen zu, und dann besichtigte er den Rohbau, und er fragte die Arbeiter in dieser zugigen Tropfsteinhöhle, die grade Schieferplatten in der Halle verlegten, ob sie ihm vier Backsteine geben, die braucht er für sein Bücherbord, er legt zwei Bretter über die Steine, und fertig ist die Laube.
    Das weiß er nicht, sagte der eine, ob er das darf…. Aber der andere erlaubte es ohne weiteres. Es stellte sich heraus, daß beide aus dem Osten stammten.
    Ob er auch ein Kamerad sei?, wurde Matthias gefragt. Damit war gemeint, ob er Soldat gewesen sei. Als er verneinte, machte das weiter nichts aus, er stammte jedenfalls von drüben, wie sie. Man merkte es irgendwie, daß in den drei Männern das gleiche Heimatblut rollte. Sie gaben ihm die Steine und fragten, ob er noch mehr will.

    Auch durch den Glumm fuhr er, die Moorbauern dort besonders herzlich grüßend. Sie verkauften ihm weißen Torf und einen Beutel Buchweizen. Kaufmann Klapproth in Klein-Wense führte keinen Buchweizen, weil den niemand aß im ganzen Landkreis, und Torf führte er schon gar nicht.

    Die Höfe im Moor waren etwas kleiner als im Dorf, die Häuser genauso wie richtige Bauernhäuser gebaut, vorn die Diele mit dem Vieh und hinten die Menschen, aber alles etwas gedrungener und die Dächer nicht so gewaltig. Hier hatte früher große Not geherrscht, Schwindsucht und Hunger. Für Neusiedler im Moor hatte gegolten:«Dem ersten Tod, dem zweiten Not, dem dritten Brot.»
    Der vorsintflutliche Pflug, der an einer Scheune hing, würde dort hängenbleiben müssen, daran war nicht zu rühren – sonst nähme man den Leuten ihre Seele irgendwie.

    Auch in Kreuzthal wurde Matthias gesichtet, wenn er sich bei Friseur Hacker die Haare schneiden ließ zum Beispiel, dort las er den Lesezirkel, von vorn bis hinten, man war ja schon ganz dumm, man wußte gar nicht mehr Bescheid in der Welt, und in der Buchhandlung besorgte er sich eine Posaunenschule. Mit seinem Fahrradanhänger wurde er zum vertrauten Bild der Börde, so wie der«Plünnenkerl», der auf seinem alten Tempo-Auto verrostetes Akkergerät einsammelte und ausgekochte Knochen in Säcken, und der«Eieraufkäufer», der auf seinem Vorderradgepäckträger Hunderte von Eiern in aufeinandergelegten Pappen balancierte, ohne daß je eines hinuntergefallen wäre.

    Bei einer seiner Dorftouren traf Matthias auf die Nachbarskinder Luers und Gitte, die Löwenzahn für ihre Kaninchen suchten. Sie faßten einander zwar bei der Hand, als sie den Lehrer kommen sahen, aber als er sie einlud, in den Anhänger zu steigen zu einer Spazierfahrt, stiegen sie getrost ein. Mit ihren Löwenzahnbeuteln und Kaninchenfuttermessern ließen sie sich’s gefallen, durch die Gegend

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