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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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der damals in der Landwirtschaft geholfen habe, der schreibe ab und zu. Die Franzosen ja überhaupt.
    Sie sei in ihren Vater verliebt gewesen, hätt’ ihn als Kind am liebsten geheiratet…

    Eigentlich sei die Zeit in Lüssow doch ganz schön gewesen, im Sommer im See gebadet und dann immer die Raketen von Peenemünde, donnernd in die blaue Luft aufgestiegen.

    Als der Mann draußen das gemähte Gras zusammengeharkt hatte und davongegangen war, nicht ohne vorher mit Blick auf die Herrschaften im Erker noch kurz an der Mütze geruppt zu haben, holte Ellinor ein Kästchen aus der Tischschublade. Darin lagen Spielkarten, und mit denen wurde nun eine Streitpatience aufgelegt. Likör wurde eingeschenkt, aus der Flasche, die noch vom Besuch des Dramaturgen her auf dem Tisch stand.
    Die Patience ging der Künstlertochter verdammt schnell von der Hand, die Armreifen klirrten dabei. Und Matthias geriet ins Hintertreffen, wie beim Wettrechnen mit der Schülerin Elfriede, was sich jedoch günstig auf die Laune der jungen Frau auswirkte.

    Der Teesud wurde aufgegossen, nach alter friesischer Sitte, das Modern Jazz Quartet wieder und wieder aufgelegt, diese Jazzfuge da, und dann und wann wurden holländische Butterkekse ins Schälchen nachgeschüttet, von denen man dann eines nach dem anderen in den Mund schob. Auch das Schälchen war von Künstlerhand gestaltet. Es war fünfeckig und paßte zu den sechseckigen Tellern mit den dreieckigen Tassen.
    Auf dem Kaminsims waren allerhand Krüge der Größe nach aufgereiht, mit und ohne blühende Zweige darin, alle verschieden, aber doch irgendwie gleich. Auch alles echte Kallroys. Ihr Vater hatte sich mit Keramik beschäftigt, als er nicht mehr malen durfte. Im Keller stünde noch alles voll, sagte die Künstlertochter. Mit eigener Hand hatte er den Brennofen gebaut und gearbeitet, bis keine Kohlen mehr zu kriegen waren.
    Und dann wurde Likör nachgeschenkt und eine neue Patience aufgelegt, und Matthias verlor ein Spiel nach dem anderen.

    Als sie sich eben über dem Spiel ereiferten, ging durchs Nebenzimmer eine alte krumme Frau. Sie blieb in der Schiebetür stehen und starrte herüber. Matthias hatte sich schon erhoben, da sagte Ellinor:«Ach Gott, das ist meine Tante», stand auf und schob die alte Frau ziemlich nachdrücklich hinaus. Man hörte sie laut redend und schließlich auch schimpfend über den Flur und die Treppe hinaufgehen, und oben bumste es. Die alte Frau jammerte.

    Endlich kam Ellinor zurück, ordnete ihr Haar und setzte sich wieder. Das sei die Schwester ihres Vaters. Kurz vor seiner Verhaftung habe ihr der Vater das Haus überschrieben, aus irgendwelchen finanziellen Überlegungen heraus, und die lebe hier nun noch immer, sei absolut durcheinander, müsse unter Verschluß gehalten werden und bilde sich ein, nichtsdestotrotz, daß ihr das alles gehört.
    Das Schlimme sei, sie könne kein einziges Bild verkaufen, weil alles auf ihre Tante überschrieben worden sei! Und es wär’ kein Pfennig da, das Haus zu renovieren!

    Matthias machte Andeutungen, daß er die Ostseeskizzen gern mal sehen möchte, vielleicht sei seine Heimatstadt ja dabei, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat, aber darauf wurde nicht reagiert – die Sache hier war beendet:«Besuchen Sie mich mal wieder…»
    Vielleicht hätte er doch ein paar Strophen seiner Leidensode singen sollen?
    Der Spitz erwartete ihn vor dem Haus, schniefend gab er ihm das Geleit, und Carla wartete am Fenster, saß am Fenster und guckte auf die Straße. Sah sie denn auf die Armbanduhr? Kurz nach sieben – eine merkwürdige Zeit.

    Zu Hause hatte Matthias noch lange mit dem starken Tee und den Butterkeksen zu kämpfen. Unruhig strich er durch das leere Haus. Die kahlen Wände und nackten Glühbirnen unter der Decke: der Unterschied zum Kallroy-Haus war gar zu groß. Aber – er hatte keine alte Tante, die er unter Verschluß halten mußte, er brauchte nicht mit Rechtsanwälten zu verhandeln, damit er was zu beißen hat. Er blies ein paar Töne auf der Posaune, und als er sich die Hose auszog, seufzte er dankbar auf.

    Früher oder später würde er hier einen Kallroy hängen haben, oder mehrere, vielleicht ein kleines Gemälde, von der Sorte, die beim Bürgermeister hing? Einstweilen nahm er mit dem Katzenbild von Marianne vorlieb. Das heftete er über sein Bett.

14

    N un sah man Matthias mit seinem Fahrradanhänger des öfteren in der Gegend umherfahren, die Katzenaugen sauber geputzt, im Dorf und durch den

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