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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sassenholzer Wald.
    Er besuchte die Eltern seiner Schulkinder: Es gab mißtrauische Menschen und ablehnende, aber die meisten waren freundlich zu ihm, die wußten die Ehre zu schätzen.

    Einen Vater traf er auf der Diele. Der machte sich an einer Seilervorrichtung zu schaffen, knüpfte Bindfäden aneinander und drehte sie mit einer Kurbel konzentrisch zusammen. Jedes Stück Bindfaden wurde aufgehoben in diesem Haus, Hanf, Flachs oder Kokos, ganz egal und, wenn es an der Zeit war, zu Stricken gedreht, durch Links-und Rechtsdrall untrennbar miteinander vereinigt.
    Während der Mann in zahnlosem Platt vor sich hinredete, ließ Matthias seine Blicke schweifen, nein, er fand nichts, was einen Handel gelohnt hätte. Er konnte ja nicht wissen, daß es auf diesem Hof noch einen Dreschflegel gab, einen Zwiehänder aus erstklassigem Buchenholz mit hirschledernen Schlaufen und eingebrannter Hofmarke, den man vor dem Lehrer in Sassenholz bisher erfolgreich hatte verbergen können.
    Neben der Dielentür standen zwei Kälber in einer engen vergitterten Buchte, dicht aneinandergedrängt, die wurden dort gemästet. Traurig sahen sie Matthias an – für einen Schlachter hielten sie ihn wohl nicht.

    Die Elternbesuche hielten ihn eine Zeitlang auf Trapp. Flüchtlinge, die ihm von der«Hamit»erzählten und am nächsten Tag ihrem Kind Blechkuchen für ihn mitgaben, eine wahnsinnig schwangere Frau mit vier kleinen Kindern und einem Saufkopp als Mann. Ein Arbeiter, der müde vom Fahrrad stieg, nahm ihn gleich mit ins Haus, der wurde von seiner Frau mit Schimpfworten empfangen, das ging eine Weile, bis sie mitkriegte, daß da auch der Lehrer mit in die Stube trat.
    Einen alten baltischen Baron mit Samtkäppchen, am Schreibtisch über die Buchführung von Gustav Cordes, Landhandel, gebückt, davon lebte er. Am Fenster ein schwarzer Papagei, der keinen Mucks von sich gab. Seine kleine Nichte erschrak, als der Lehrer eintrat, die machte sich sofort dünne. Ein nettes, unscheinbares Kind, zwölf Jahre alt – hier wirkte es ganz anders als in der Schule, und Matthias nahm sich vor, aufmerksamer zu ihm zu sein. Vielleicht war der alte Herr in seiner Heimat über seine Ländereien geritten, und die Tagelöhner hatten die Mütze gezogen? Vielleicht aber hatte er dort auch nur von Buchführung gelebt. Haus und Hof in Zoppot verspielt?
    Daß der neue Lehrer Hausbesuche macht, das hätte er nicht gedacht, sagte der Baron. Der Pastor habe sich noch niemals sehen lassen. Und dann zeigte er ein Bild seiner Heimatstadt, Wehlow in Ostpreußen, aus dem Rahmen genommen, zusammengerollt und bis hierher getragen. Und als er von ihr erzählte, von der Kirche und von den Stadttoren, sprach er extrem ostpreußisch. Das gab sich dann allerdings schnell.
    Meistens traf er bei seinen Besuchen nur die Omas an. Er ging durchs leere Haus, um dann irgendwo auf eine Oma zu stoßen, in der Küche meistens. Einmal auch im Bett, matt die Hand aufhebend. Da mußte dann zum Rückzug geblasen werden.
    Ein alter Mann, ein Greis, im Keller damit beschäftigt, die Honigzentrifuge zu reinigen, zeigte ihm das Bild seines Sohnes, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Der erzählte endlos von Bienen und wie man den Honig schleudert… Da mußte dann auch schnell retiriert werden.

    Einmal überraschte er eine Bauersfrau am Ausguß in der Küche, wie sie, die Röcke aufgerafft, sich in das Becken erleichterte. Da fing er dann einfach an zu reden, er kommt grade vorbei, und wie gut ihr Junge lernen kann und so weiter, während sie noch die Röcke ordnete, mit rotem Kopf.

    Meistens bekam er was angeboten, Bier oder Kaffee. Und immer sah er sich verstohlen um, ob er nicht irgendein«Altertum»entdecken kann: Gelegentlich hatte er Glück, eine hübsche alte Kaffeekanne aus Steingut mit Holzdeckel, eine handgeschnitzte Puppe aus alter Zeit, oder auch mal einen Zinnlöffel. Einen goldgerahmten stockfleckigen Stich vom Heiland, wie der die Kinder segnet, wies er zurück.
    Die Bauersfrau, die er in der Küche erwischt hatte, zeigte ihm einen Kasten mit den schönsten Stickereiproben, aus dem Handarbeitsunterricht, Muster, damit man weiß, wie man Tischdecken ausstickt und Monogramme, noch von ihrer Großmutter. Das gab sie her, und es war klar, daß sie damit sein Schweigen erkaufte. Der Kasten war übrigens auch sehr schön, eine Einlegearbeit, recht dekorativ.

    Er besuchte auch das Katzenmädchen Marianne. Die Familie hauste in einem ausrangierten Backhaus, früher war das der

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