Heile Welt
kutschiert zu werden. Er fuhr mit ihnen die Eische entlang, beschrieb Achten auf dem Sportplatz und zeigte ihnen die Kiesgrube, in der man Wüste Sahara würde spielen können, wenn einem danach ist. Der Kiesbauer guckte zwar scheel aus dem Gebüsch, was der Kerl da den Sand aufwühlt mit seinem Rad… Aber er konnte nichts machen, Vieh hatte er gestohlen von der Weide, vor fünfzehn Jahren, und ausgestoßen war er seither. In alter Zeit hätte man ihn im Moor versenkt, mit einem Napf Hirsebrei als Wegzehrung.
Auch beim Schmied hielt Matthias an, der gerade einem Pferd neue Eisen verpaßte, das dampfte und stank. Das muß dem Pferd doch weh tun, dachte Matthias, aber das war offensichtlich nicht der Fall, denn es hob geduldig die Beine. Hinterher wurden ihm noch mit Schuhwichse die Hufe geputzt, alles sauber und schön. Dies war für die Kleinen nicht sehr interessant, das hatten sie schon tausendmal gesehen, und leider wurde auch aus dem Innern der Schmiede gerufen:«Hebbt Se nix do dohn?», womit Matthias gemeint war.
Zum Schluß der Lustpartie strampelte Matthias im ersten Gang die Anhöhe zum Bauern Up de Hœcht hinauf, von wo es das gab, was die Einheimischen einen«herrlichen Ausblick»nannten. Den beiden Kleinen machte es Spaß, in dem Lehrertaxi die Wege entlangzurumpeln, aber als er dann die Anhöhe hinaufastete, stehend auf den Pedalen, klammerten sie sich denn doch fester aneinander.
Diesmal blieb dort alles ruhig. Kein Greis torkelte ihnen entgegen. Die Leute hielten sich entweder verborgen oder waren allesamt auf dem Feld, und den alten Mann mochten sie eingesperrt haben, vielleicht in den alten Keller? Wer konnte das wissen? Damit er nicht wieder wegläuft oder das Haus ansteckt oder was. Klavierspiel war zu hören, leise und fein.
«Bin ich das?»fragte sich Matthias.
In der Hofeinfahrt stand Dr. Müllermann, der Kreismuseumswart, ein ausgelaugter Mann in kognakfarbenem Rollkragenhemd und kleiner«Detlef»-Handtasche um den Daumen. Er hantierte mit einem Zollstock. Die Höhe der Zaunpfähle maß er ab, ob sie noch altes Bördemaß haben… Er mochte glauben, daß Matthias etwas für seine Sammlung suchte, denn natürlich hatte man ihm Bericht erstattet über den neuen«Altertums»-Konkurrenten. Als er die kleine Fuhre sah, die beiden winzigen Kinder in dem Anhänger, denen man ja«das Vaterunser durch die Rippen blasen kann», fühlte er sich jedoch besänftigt:«Gut Holz!»sagte er zu Matthias, und dann mußten die beiden Kleinen viel Geduld aufbringen, weil der Lehrer ein langes Gesprächsgemurmel anfing mit dem Herrn aus der Stadt, dessen weißer DKW ein wenig abseits unter Holunderbüschen geparkt war. Es war das einzige weiße Auto der Gegend, und damit, obwohl nur ein Zweitakter, hart an der Grenze zum Extravaganten.
Matthias nannte seinen Namen, ganz comme il faut:«ohne h, aber mit ck… », und Dr. Müllermann, der mit Bindenamen Ohfe hieß, erklärte seinem«jungen Freund»den Unterschied zwischen Zoll und Zentimeter, Preußisch-Zoll und Sächsisch-Zoll und wie das alles hieß, alte Maße, die bei Zimmerleuten und Schlossern noch letzte Heimstatt genössen, I Zoll gleich 2,3 Zentimeter oder 3 Zentimeter, je nachdem, was man jedesmal exakt umrechnen muß, sonst kommt man zu völlig verkehrten Schlüssen. Plötzlich aber hielt er inne und lächelte süßlich über Matthias hin. Umrechnen, das wär’ wohl nicht seine Stärke, was…?
«Es gibt da auch Tabellen», sagte Dr. Müllermann-Ohfe, der in Breslau so manches Semester Kunstgeschichte studiert hatte, in Schlesien also, wo es früher noch ganz andere Maße gab, eine andere Meile zum Beispiel, die dann allerdings durch die preußische ersetzt wurde, bevor sie im Meter aufging… In Breslau studiert bei Wiegandt und Redlich und dann hier oben gelandet, im Norden, wo jegliches Museumsgut bereits im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden vertilgt worden war. Letzte Reste waren der Hof des Bauern Up de Hœcht, das Fronhus in Sassenholz und die Kirche dort mit dem bäuerlichen Kreuzweg und dem Fresko von von Kallroy. Und das Kloster Kreuzthal natürlich, das hatte internationalen Ruf durch keinen geringeren als Napoleon, der dort vor hundertfünfzig Jahren mal einen Vertrag hatte diktieren lassen.
Von Kallroy, um auf diesen Mann zu sprechen zu kommen – ein bißchen schwächlich im ganzen und epigonal, Masereel, Kirchner, so diese Richtung… Und dann die zweimal geknickte Vita: ein Marxist, obwohl schlauerweise kein
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