Heile Welt
als letztem die Hand, das tat er deshalb, weil er sich nichts vergeben wollte bei der Beurteilung der Stunde, die dieser Mensch jetzt würde halten müssen.
Der Unglücksrabe wurde in die Mitte genommen, und dann gings die Hartriegelallee entlang auf die Schule zu, Schulrat, Rektor und AG-Leiter vornean, Junglehrergesochs hinterher.
«Na? Sind wir alle fröhlich? Sind wir gut gelaunt?»
Zwei über den Rasen latschende Schüler wurden angehalten:«Wißt ihr eigentlich, daß das die Steuergelder eurer Eltern sind?»
In der Halle schwenkten Schulrat und Rektor nach links ab. Sie wollten noch mal eben kurz Fühlung nehmen, die Sache aufmischen und ventilieren, ein paar Vorabinformationen über den Kandidaten konnten nicht schaden. Wes Geistes Kind und so weiter.«Was? Jung verheiratet?»- Ja, die junge Frau tat als Apothekenhelferin das ihre. Der Schulrat wunderte sich, daß im letzten Jahr siebzehn Schüler dieser Schule an die Sonderschule überwiesen worden waren. Sei das Material denn hier so schlecht? Oder mangle es vielleicht an der rechten Lehrmethode?
Dann wurde das Malheur mit den Pinkelbecken für Jungen aufgewärmt, daß sie allesamt zu hoch angebracht worden waren… und wie’s der Frau Gemahlin geht? Schilddrüse wieder in Ordnung? Seine Frau laufe im Augenblick als Femme fatale durch die Gegend, sagte der Schulrat: mit Hosenrock und die Haare kurz. Maggisuppen könne er sich auch alleine kochen.
Der Lärm auf dem Korridor nahm zu.
«Na denn also», sagte der Rektor:«Es hilft ja nichts…», und sie begaben sich in den zweiten Stock, in dem nun ein junger Mensch sein Glück probieren würde. Der Schulrat seufzte, es würde wieder mal eine Vorführstunde zu erwarten sein, die mit der Schulwirklichkeit nichts zu tun hatte; aber wenn man ihm bloß Schulwirklichkeit vorführte, dann wäre das eben auch nicht zu billigen.
Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit…
Frohriep hatte das Glück, daß er seine Stunde mit einem Choral begann, denn der Schulrat war kein Freund von Landsknechtsliedern. Und als dann noch ein gänzlich unbekanntes Schulgebet folgte, stand er krachend auf, und die Junglehrer taten das alle natürlich ebenfalls, sie falteten gar die Hände, obwohl das Gebet in seiner Kürze bereits heruntergerasselt war.
Dann durften sich die Kinder alle mal kurz umdrehen, was da für fremde Menschen sitzen, du lieber Himmel, fünfzehn Lehrer… Lieber gleich jetzt umdrehen, das war die Devise, als nachher während der Stunde fortwährend. Diesen Ratschlag hatte Frohriep einer pädagogischen Handreichung entnommen, die ihm vom Schulrat empfohlen worden war.
Abhaken die Sache, noch hat der Mensch die Sache im Griff, dachte der Schulrat, und transportierte sein Kleingeld von der linken in die rechte Jackentasche.
Dann wurde ein Glöckchen gerührt, und zwei Knaben stellten einen Stuhl auf einen Tisch und führten ein Mädchen herbei: Das war das Geburtstagskind des Tages. Eigentlich gab es an diesem Tag zwei von der Sorte, dem zweiten hatte man gut zugeredet, daß die Herausstellung nachgeholt wird, demnächst. Das muß sie einsehen, daß man hier nicht hundert Stühle auf die Tische stellen kann.
Sodann wurde eine Kerze angezündet, und der Klassensprecher mit roter Schärpe trat vor den Geburtstagsthron und überreichte dem Mädchen einen Korb mit Geschenken: Radiergummis und Bonbons. Ein jeder hatte dazu gebracht werden können, ein Geschenk mitzubringen: Das war ein Ritus, der allerdings irgendwann einmal kritischer Gegenstand eines Elternabends werden würde, ob das denn nötig sei? Zwanzig Pfennig sind schließlich auch Geld?
Schulrat, AG-Leiter und Rektor saßen wie die Junglehrer nebeneinander auf schmalen Kinderstühlen und brummten in sich hinein. Gegen Sitte und Brauchtum war nichts einzuwenden, in«Schule heute»war zwar zur Abschaffung der Nikolausfeiern im Klassenzimmer geraten worden, aber Geburtstagszeremonien wurden dort dringlich empfohlen. Jeder Mensch komme schließlich nur einmal auf die Welt… Alles gut und schön, aber in solcher Breite? Da ging ja fast die Hälfte der Stunde flöten? War das am Ende eiskaltes Kalkül?
Jedenfalls läßt sich auf diese Weise die Vorführstunde auch rumkriegen, dachte der Schulrat und machte ein Fragezeichen in sein Notizbuch. Der Rektor quälte sich auf seine Weise: Um Gottes willen, was macht der da, was macht der da?, dachte er und knetete die Hände. Er saß auf dem Sprung, wenn das Mädchen
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