Heile Welt
versauen den ganzen Lack! Das kriegt man ja nie wieder ab!
Der Rektor verließ seinen Empfangsposten, um ihn zu begrüßen: Man kannte sich aus ewigen Zeiten, vom Seminar her und von einer verregneten Radtour über die Rhön, just zu der Zeit, als die Inflation auf ihrem Höhepunkt war…, und man hielt zusammen. Nächste Woche war Ausschußsitzung des Lehrervereins, da noch mal eben schnell Fühlung nehmen. Die Bus-Mißstände, waren die hintergründig auflistbar?
Sie schüttelten einander die Hand, und van Dechterong, der etwas auf Gerhart Hauptmann machte, schloß seinen Wagen ab und ging hinüber zu dem«Jungvolk», wie er sagte, und begrüßte all die frischen Gesichter, Menschen, die das Leben noch vor sich hatten… Er reichte ihnen die warme Hand und setzte unter seinen schlohweißen Haaren die freundlichsten blauen Augen auf. Er kannte die kleine Horde als seine Pappenheimer, er würde sie schon noch über die Klippen zum zweiten Examen lotsen, bis jetzt war ihm das noch immer geglückt.
So mancher Junglehrer war durch seine Hände gegangen. Rektor war er dabei nicht geworden, das lag wohl daran, daß er sich im Lehrerverein zu sehr engagierte, also Bus-Mißstände zur Sprache brachte und Besoldungsmeckereien – so was hatte die Schulbehörde nicht gern.
Er rief die beiden Neuen heran, den rötlichen Stichnoth und Matthias, der sich wohl mal die Haare kämmen müßte. Ob sie auch die schöne Natur sähen, wie sie aus allen Bäumen hervorsprießt? Und er bot ihnen Rat und Tat an, er wär’ immer für sie da, das sagte er und faßte sie am Oberarm, links einen und rechts einen, ohne sie so bald wieder loszulassen. Gott, er erinnere sich noch an seinen Anfang. Fünnefundvierzig Jahre her! Er habe sein Lebtag immer ein fröhliches Lied auf den Lippen gehabt, wenn er vor die Klasse trat. Und das mache er noch heute so, jeden Morgen, obwohl er kurz vor seiner Pensionierung stehe…
Und er reckte sich und setzte ein versonnenes Lächeln auf, das seine Wirkung auf Kinder nicht verfehlen mochte:«Fröhlich! Verstehen Sie! Man muß fröhlich sein. Von innen heraus.»Von Lehrern muß etwas Strahlendes ausgehen, koste es, was es wolle, Jugend strahlt dann zurück. Nicht muffig sein. Niemals.
Nun kam der Schulrat vorgefahren,«Egon», wie er von den Lehrern genannt wurde. Er beschrieb mit seinem Volkswagen einen Bogen und stoppte in deutlichem Abstand vor dem Jungvolk auf der rechten Seite direkt vor der seitab gelegenen, unter Holunderbüschen dahinschlummernden alten Dorfschule, die man aus Pietätsgründen einstweilen noch stehengelassen hatte, Sportgeräte waren in ihr verstaut. Irgendwann würde man sie abreißen und ein solides Gerätehaus errichten müssen, das lag auf der Hand.
Der Schulrat stieg aus und besah sich das alte windschiefe Gebäude. Du meine Güte, was waren das für Zeiten gewesen!
Er ließ seinen versonnenen Blick auf dem bemoosten Dach ruhen, und er wußte natürlich, daß die Junglehrer da drüben es sahen: Dieser Mann guckt sich die alte Schule an, weil er ein Herz hat für alte Zeiten, und sie machten es, daß sie auch ein wenig versonnen aussahen.
Und weil das so war, ließ sich der Schulrat nur ungern von Rektor und AG-Leiter stören, die nun auf ihn zueilten, um ihn von ganzem Herzen in ihrer Runde willkommen zu heißen.
Mit klarem, vorwärts gewandtem Blick, von den beiden erprobten Kollegen links und rechts geleitet, schritt er auf die im Kreise stehenden und auf den Zehen wippenden jungen Lehrer zu, die er allesamt irgendwann einmal in die Finger kriegen würde und dann kneten und zurechtbiegen, und begrüßte sie einzeln mit Namen, immerhin zwölf Herren und drei Damen. Der neu eingestellte Lehrer Stichnoth-wenn einer schon Stichnoth heißt! -machte den Fehler, ihm freimütig die Hand entgegenzustrecken, zunächst Schlosser, dann Polizist, auf dem zweiten Bildungsweg herangerobbt, irgendwie merkt man das eben doch…
«Ladies first!»sagte der Schulrat und verweigerte ihm die Patschhand. Das stämmige Fräulein Wehrschild wurde kavaliert, und die«damte»zurück, sodann Fräulein Rosemiehl, heute arg verschnupft, und auch die kleine Jungmichel, die bereits kurz vor der Prüfung stand, offenbar neuerdings schwanger?
Matthias wurde ein wenig nebenbei behandelt. Er hatte bei der Vereidigung Gehaltsfragen angeschnitten, konnte also den Rachen nicht voll genug kriegen. Der würde im Auge zu behalten sein.
Dem heute zu visitierenden jungen Lehrer Frohriep gab der Schulrat
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