Heile Welt
Grab -, so was kannte man hier nicht bis dato.
«Der Niedersachse schweigt am Sarg.»
Daß es acht Jahre dauert, bis eine Leiche verwest ist, und Kindergräber sind am schlechtesten gepflegt. Je kürzer gelebt, desto kürzer der Schmerz.
Daß ein Grabstein nicht größer als Null Komma neun Kubikmeter sein soll, heimischer Stein. Hasen-und Rehfraß durch PVC-Ummantelung verhindern.
Matthias sehnte sich intensiv nach Hause, gern wäre er jetzt durch seine Stuben geschritten, von einem Zimmer ins andere, die Sesselchen mal hierhin rücken und mal da. Und oben in der Dachkammer ein Loch in die Gipsverkleidung schneiden für den Sperling, daß er rein kann und wieder raus, der liebe Hausgenosse.
Zwischendurch erhob sich Fitschen, um draußen nach dem Rechten zu sehen: Es war noch immer nicht so weit. Die Bauern, die da um den Tisch herumsaßen, fanden es ganz in Ordnung, daß dauernd einer aufstand und nach dem Rechten sieht. Die kannten das.
Die Franzosenaktion…, daß die nur’ne Rippe rausgeholt hätten aus der Kuhle und die Köppe…
«Wenn sie all unsere Leute aus Rußland holen wollten, hätten sie viel zu tun, watt?»
Von Kallroy habe immer noch keinen Grabstein, eigentlich doll… Man sähe ihn noch durch den Wald gehen, seinen Farbkasten dabei und sogar ein Fläschchen Wasser für die Farben. An sich ein harmloser Mensch, aber ein bißchen überkandidelt. Immer nackte Kinder auf der Wiese rumspringen lassen, und eine rote Fahne gehißt!
Ob Fitschen auch ein Bild von ihm besitze?, fragte Matthias. Ja, aber das hänge in der Schlafkammer – und es wurde nicht weiter darauf eingegangen.
Schlag Mitternacht – Matthias hatte schon mehrmals Ansätze gemacht, sich zu entfernen – gab’s Kaffee und Kuchen. Drei Sahnetorten wurden aufgetragen und noch Blechkuchen dazu: Bloß nicht mit’ner vierten Torte anfangen, dann muß der nächste Bauer auch vier Torten auftischen, immer hübsch im Rahmen bleiben. Zigarren anzünden.
«Nichtraucher oder watt?»wurde Matthias gefragt.
Schwarzer Kaffee und Büchsenmilch.
Likör.
«Junggeselle oder watt? Jänicke ohne h? – und hinten?»
Vom Kaffee wurden die Frauen mobil, bis dahin hatten sie sich zurückgehalten. Sie streiften ihre Armreifen in die Höhe und hielten sich an der Bernsteinkette fest.
«In Oyten sind sie schon beim Einmalzwei!»sagten sie, und sie wollten wissen, was Matthias von der neuen Lesemethode hält. Matthias fiel es ein, sich die Hände der Frauen reichen zu lassen, um die Handlinien zu besichtigen, er deutete sie nach Wahrsagerart ins Glückselige, was allgemeines Wohlgefallen hervorrief. Als er dann aber den Bauern Säcke voll Geld prophezeite, lachte alles, da hatte er den Bogen überspannt.
Das Kallroy-Bild kriegte Matthias nicht zu sehen, aber eine silberne Trachtennadel zum Zusammenhalten des Halstuches wurde ihm geschenkt, die hatte Frau Fitschen in der Schrankschublade liegen gehabt.
Und als es dann merklich später wurde, sagte einer der Bauern:«Hewt ji gor keen Kordeluhr?»
Um zwei Uhr war endlich Entlassung. Das war eine schwere Arbeit gewesen, sechs Stunden – sitzen und zuhören und nur die Hälfte verstehen. Und nun noch herumstehen.«Na, denn…», wurde schließlich gesagt, und man ging auseinander.
Obwohl Matthias ja noch da war, freuten sich die Fitschens schon auf seinen nächsten Besuch.
«Kommen Sie bald mal wieder!»
Auch die andern Bauern luden ihn ein, ob er deshalb gleich dem Gesangverein beitreten müßte, der Freiwilligen Feuerwehr und dem Posaunenchor, das würde noch zu untersuchen sein. Da Abstand halten, das war ja uferlos.
In die Abschiedszeremonie hinein kam Anita gelaufen, so schnell die Beine ihren schweren Körper zu tragen vermochten:«Geiht los! Geiht los!»Das Ferkeln war in Gang gekommen. Da machte Matthias, daß er wegkam! Nur eben warf er einen Blick auf die Sache, die blutig schleimigen Würstchen, die aus der Sau hervorflutschten. Wie gut, daß er denen nicht auch noch das Lesen und Schreiben würde beibringen müssen.
21
D ie Bodenkammern waren zwar renoviert worden, aber die Tapeten, die der Bürgermeister – oder seine Frau – ausgesucht hatte, waren denn doch nicht zu ertragen, deshalb fuhr Matthias zu Kaufmann Claasen, weiße Farbe holen.
Matthias ging um das Haus herum und klopfte an die Tür im Hof, und da sie nicht geöffnet wurde, trat er ohne weiteres ein.
«Ah, welch hoher Besuch!»sagte Heiner Claasen, der in der Küche saß und sich damit beschäftigte, einen
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