Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
wenn er die Treppe hinunterstieg.«Entschuldigung!»rief er dann. Meistens ging er die Platanenallee entlang, am Neubau der Landhandelsvilla vorüber, in die nun schon Fenster eingesetzt worden waren. Roter MILO-Mais für Hühner: Davon wird das Eigelb dunkel, und NATA vertilgt Quecken. Die Balken des alten Bauernhauses verrotteten im Gebüsch.
    Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst so arbeit’ jedermann umsunst
    Ins Gasthaus ging er nicht, er ließ sich nicht so gern von Halbbetrunkenen anquatschen.«So ein Leben möcht’ ich auch mal haben … », so etwas war quälend. Daß er ein herrliches Leben hatte, das wußte er, das brauchte ihm niemand zu sagen. Man konnte das Kartenspielen draußen hören.

    Die Geräusche der Nacht: Vieh klirrt im Stall mit den Ketten, und der Posaunenchor übt. Ein einsames Flugzeug hoch oben, die blinkenden Lichter: Hamburg-Amsterdam und von dort aus weiter nach New York. Der elektrische Umformer und das Brummen im Kalthaus und vom Hof des Bauern Up de Hœcht Klavierspiel… leise… da übte einer Stunde um Stunde, obwohl er einen Splitter im Kopf hat.
    Das war schon ein Bild: das Dorf im Dunkeln, nur das eine Fenster erleuchtet hinter den schwarzen Scherenschnittbäumen.

    Heugebläse machen einen widerlichen Lärm, am Tag fand sich Matthias damit ab, so ist das nun mal, wenn man auf dem Lande wohnt, auch das Schweinegeschrei vorm Füttern war in Ordnung – aber nachts! Der Bauer in Klein-Wense-Ausbau, in der Nazizeit ausgesiedelt aus dem Dorf-mit Kornährenmuster über der Scheunentür und einer Kassette, die unter der Schwelle eingemauert worden war, mit Heilssprüchen aus der«Edda»-, war Heugebläsespezialist, der machte das ausschließlich abends. Der arbeitete ja auch sonntags und sogar zu Pfingsten. Der mußte wohl noch Kredite abzahlen, deshalb tat er das.

    Einmal wanderte Matthias zur Schwarzen Flaage, der feuchten Stelle in der Heide, früher mal ein See gewesen. Das war unheimlich. Hier hatte man den Polen aufgehängt, und alle hatten zusehen müssen, das Mädchen mit geschorenem Haar unter dem Galgen.«Ganz schön hart», wie Kaufmann Claasen es ausdrückte.

    Die Wolfskuhle, eine Sage wohl nur. Daß es hier einmal Wölfe gegeben habe, wurde behauptet, keine Spuren mehr, nur noch eine Erinnerung. Und die Reiherkolonie. Später würde es heißen:«Hier haben früher einmal Reiher gehorstet, Jahr für Jahr», so wurde ja jetzt schon gesagt. Noch saßen die großen Nester in den Baumkronen. Störche kamen schon lange nicht mehr. Auch das nur noch Erinnerung.
    Einmal sah er in der Dunkelheit einen Mann vor sich hergehen. Matthias dachte schon, das sei eine Art Nachtwächter, denn er blieb bei jedem Haus stehen und faßte die Pforte an, ob sie geschlossen ist. – Matthias konnte beobachten, daß der Mann sich unter ein Fenster stellte und horchte. Der wollte es wohl mitkriegen, ob sich die Bauersleute schwer atmend unter dem Federbett vergnügten.
    Plötzlich ging an einem Haus das Außenlicht an, ein Hund bellte, die Tür wurde aufgeschlossen – der Lauscher lief fort, und Matthias lief auch fort, in entgegengesetzter Richtung. Nicht auszudenken, wenn man ihn gesehen hätte! Keiner hätte ihm geglaubt, daß er nur den Lauscher belauschte. Schlecht rechnen können, die Wohnung zum Dreckstall verkommen lassen und nachts an den Fenstern lauschen… Das wäre dann das Ende des dritten Lebensstarts gewesen.
    Matthias blieb eine Weile im Gebüsch sitzen, dann ging er die Eische entlang nach Haus. Vor dem Haus des Bürgermeisters standen drei Fahrräder. Da saßen die Ältesten zusammen und besprachen, wo’s langgehen soll mit der Menschheit, und wie’s ausgeht. Vielleicht auch nur, welcher Weg als nächstes gepflastert werden soll. Still! Keiner darf das vor der Zeit erfahren, sonst ist alles verdorben.
    Vielleicht war ja auch ein neuer Zaun um den Friedhof fällig? Betonpfeiler halten ewig?
    Im Kallroy-Haus war noch Licht. Jetzt wurde es ausgeknipst, und nun ging’s oben links an.

    Als er sich wieder der Schule näherte, dachte Matthias: Was der Schulmeister da oben jetzt wohl macht? Und er sah den jungen Mann in seiner Dachkammer mit dem Sesam-open-you hantieren.
    - Und er dachte: Ich bin jetzt eine Frau und werde zu ihm hinaufgehen.

22

    A n Sonntagen machte er Besuche in den Nachbardörfern, die älteren Kollegen kennenlernen, ein gutes Klima herstellen, wer konnte wissen, wozu man diese Leute noch mal brauchte?
    Bei Lehrer Klein, dem Kantor von Sassenholz, hielt

Weitere Kostenlose Bücher