Heile Welt
daran war nicht zu tippen. Fitschen hatte grade noch nach einer Sau geguckt, die würde wohl bald ferkeln, das konnte jeden Augenblick losgehen, einstweilen würde Anita ihn ablösen…
Die gute Stube war freigegeben worden für diesen Abend, alles Licht an!, mit Büfett und gewaltigen Sesseln. Durch die sehr kleinen Fenster war der äußerste Rand des Strohdachs zu sehen, im Winter dann Eiszapfen, oder – klick-klick-klick – Regentropfen. Über dem Sofa hingen die Fotos zweier junger Soldaten, von einer Pflanze umrankt, an der Lamettafäden baumelten, und über der Tür ein größeres Foto vom alten Fitschen, 1947 gestorben, einem Mann mit Hitlerbärtchen.
Es kamen andere Bauern, nach und nach, krumm und sehnig, nach Schuhcreme riechend. Die korpulenten Frauen waren ordnungsgemäß mit Waschbrettfrisur versehen und Bernsteinkette, Bauersleute waren das, bei denen die Fitschens auch regelmäßig eingeladen wurden, Jahr für Jahr, das ging reihum. Bis zu zwanzig Einladungen ergingen jedes Jahr, jeder gegen jeden. Sich ausschließen wär’ nicht gegangen.
Fitschen tat sich etwas darauf zugute, daß der Lehrer bei ihm in der guten Stube saß, was das Dorf wohl dazu sagte, daß bei ihm der Schullehrer zu Besuch ist? Er legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter: Wenn einer von denen was will, kriegt er’s mit mir zu tun.
Seine Bauernkollegen musterten den neuen Lehrer ungeniert.
«Aus’m Osten oder watt?»
Der Bauer Up de Hœcht konnte nicht kommen, schade, der hatte einen Splitter im Kopf, und der wanderte mal wieder, mal tat ihm der Fuß weh, mal die Hand. Schade – eigentlich ein netter Mensch. Der hätte den neuen Schullehrer gern kennengelernt, hatte extra noch gesagt: wie schade…, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Er war bei der Waffen-SS gewesen, aber ein ordentlicher Mensch. Deutsches Kreuz in Gold. Wegen seiner Tapferkeit an der Front war er allseits geachtet, die Kameraden hatten davon erzählt.
Die Leute nahmen Platz in den gewaltigen Sesseln und tranken Bier und Schnaps, die Frauen Wein, Fitschen hatte einen Regimentskameraden in der Pfalz, der schickte jedes Jahr Wein zum Vorzugspreis. Flaschen ohne Etikett.
«Soldat gewesen, oder watt?»wurde Matthias gefragt.
Bier und vor jedem Schluck einen«Klaren», klar wie Gottes Wort. Klare aus der«Schluckbuddel».
«Trink nur, wo man durchgucken kann, sagt mein Vater immer…»
«Komisch, man verstukt sich den Magen nie an’n eiskalten Schnaps…»
Mit Wettergesprächen ging’s weiter. Ein Bauer meinte, meist regne es freitags oder sonnabends,«… ich weiß auch nicht…». Ein anderer vertrat die Ansicht, im Winter kämen meist die gleichen Grade wie im Sommer, nur im Minus. Bevor der was sagte, machte er erst mal’ne Weile den Mund auf.
Sie unterhielten sich über die neue Kartoffelsorte«Tasso»und darüber, welchen Finger man beim Holzhacken noch am ehesten verschmerzen könnte.
Die neuen Metallsilos von Landhändler Cordes, schon von Kreuzthal aus zu sehen, bei gutem Wetter.
Das Thema Zäune gab auch was her, das war ein gutes Bauerngespräch. Da war von«Pœhl»die Rede, was«Pfähle»bedeutete, Matthias brauchte eine Weile, bis er dahinterkam. Die Wirtschaftswege würden immer schmaler, weil da männigeiner jedes Jahr’n paar Zentimeter von abpflügt.
Zwischendurch kam Anita aus dem Schweinestall und sagte:«… is noch nich so wiet!»
Als dann die Rede aufs Schnapsbrennen kam, wurden die Bauern lebhaft! Sie erklärten es Matthias haargenau, so als ob der vorgehabt hätte, eine Destille aufzumachen.
Erst Zuckerrüben durchdrehen, aufkochen, Hefe reintun, durchrühren, vier bis fünf Tage gären lassen. Wenn sich’s ausgeschäumt hat: Deckel drauf, Deckel mit Loch, Stange rein, Kupferschlange durch… Der erste achtzig Prozent, der letzte zwanzig Prozent, das dann zusammenschütten, Essenz rein, aufstoßen und abschmecken. Handvoll Wacholderbeeren reinschmeißen…
Dieses Gespräch erwärmte die Runde, es wurde vom Schwarzschlachten gesprochen, in der Nacht, alles abgedunkelt, damit keiner was sieht…
Wegen Schwarzbrennen in’n Knast wandern, das war nicht ehrenrührig gewesen. Kameradendiebstahl – das war schon was anderes. Der Kiesbauer, dem die Sandkuhle gehörte, der dem Nachbarn Vieh von der Weide gestohlen hatte, also dieser Mann war für immer geächtet, samt Kind und Kindeskind, bis ins tausendste Glied, der hätte man lieber alles verkaufen sollen und nach Amerika auswandern.
Der Kiesbauer
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