Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
telefonieren? Ich möchte etwas überprüfen.«
»Gut. Wen rufen Sie an?«
»Frau Wakayama natürlich.«
Unter Kusanagis erstaunten Blicken gab Utsumi die Nummer in ihr Handy ein. Es wurde sofort abgehoben.
»Sind Sie es, Frau Wakayama? Hier spricht Utsumi von der Polizei. Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch einmal störe … Nein, es ist nichts Wichtiges. Ich hatte nur vergessen, Sie nach Ihren Plänen für morgen zu fragen … Aha, gut, ich verstehe. Entschuldigen Sie nochmals die Störung. Gute Nacht.« Utsumi legte auf.
»Was macht sie morgen?«, fragte der Kommissar.
»Sie sagt, sie sei wahrscheinlich den ganzen Tag zu Hause. Sie sagt ihren Patchwork-Unterricht ab.«
»Sieh an.«
»Allerdings wollte ich nicht wirklich wissen, was sie morgen macht.«
»Sondern?«
»Ihre Stimme klang, als hätte sie geweint. Sie hat versucht, es zu verbergen, aber es war eindeutig. Sobald sie allein inihrer Wohnung war, konnte sie die Tränen nicht mehr unterdrücken.«
Kusanagi setzte sich auf. »Und um das zu überprüfen, haben Sie sie angerufen?«
»Selbst eine nicht besonders nahestehende Person erleidet einen Schock, wenn jemand stirbt, und bricht unter Umständen in Tränen aus. Aber jetzt noch so bitterlich zu weinen …«
»Sie meinen, sie hatte wirklich etwas mit ihm.« Kusanagi lachte und sah die junge Polizistin an. »Nicht schlecht kombiniert.«
»Danke, Chef.« Utsumi lächelte und löste die Handbremse.
Am nächsten Morgen um sieben Uhr wurde Kusanagi vom Telefon geweckt. Es war Mamiya, der Leiter des Dezernats.
»Was wollen Sie denn schon so früh?«, beschwerte er sich.
»Seien Sie froh, dass Sie noch daheim schlafen konnten. Wir hatten heute Morgen eine Sitzung auf dem Revier in Meguro. Wahrscheinlich wird eine Sonderkommission gebildet, und wir übernachten ab heute dort.«
»Und deshalb holen Sie mich extra aus dem Bett?«
»Nein, Sie sollen gleich zum Flughafen Haneda fahren.«
»Wieso das denn?«
»Frau Mashiba kommt aus Sapporo zurück. Sie sollen sie abholen und aufs Revier bringen.«
»Sie weiß es sicher schon, oder?«
»Ich vermute. Sie nehmen Utsumi mit, sie fährt. Die Maschine kommt um acht Uhr an.«
»Um acht?« Kusanagi sprang aus dem Bett.
Als er sich hastig fertigmachte, klingelte sein Handy erneut. Diesmal war es Utsumi. Sie stand schon vor seinem Haus.
Sie fuhren in ihrem Pajero zum Flughafen Haneda.
»Jetzt muss ich das wieder machen. Ich werde mich nie daran gewöhnen, den Hinterbliebenen ins Gesicht zu sehen.«
»Der Chef hat mir erzählt, Sie seien besonders taktvoll im Umgang mit Angehörigen.«
»So? Hat er das?«
»Ja, Ihr Gesicht wirkt beruhigend, oder so.«
»Damit will er wohl sagen, ich sehe aus wie ein gutmütiger Trottel.« Kusanagi schnalzte unwirsch mit der Zunge.
Um fünf Minuten vor acht kamen sie am Flughafen an. Sie warteten in der Ankunftshalle und hielten unter den herausströmenden Passagieren Ausschau nach Ayane Mita. Sie sollten sie an ihrem beigefarbenen Mantel und einem blauen Koffer erkennen.
»Das könnte sie doch sein, oder?« Utsumi schaute in die Richtung einer Frau.
Kusanagi folgte ihrem Blick. Die Frau passte genau auf die Beschreibung. Außerdem sah sie traurig zu Boden, und ihre ganze Haltung wirkte bedrückt.
»Ja … das muss sie sein«, sagte Kusanagi heiser.
Er war so bestürzt, dass er seine Augen nicht von ihr abwenden konnte. Dabei wusste er selbst nicht, wieso Ayane Mashibas Anblick ihn derart aus der Fassung brachte.
Kapitel 4
Nachdem die beiden Kriminalbeamten sich vorgestellt hatten, fragte Ayane sofort, wo sich der Leichnam ihres Mannes befinde.
»Das Gericht hat eine Obduktion angeordnet. Ich weiß nicht, wo die Leiche gegenwärtig aufbewahrt wird, aber ich werde es herausfinden und Ihnen mitteilen«, antwortete Kusanagi.
»Ich kann ihn also nicht sofort sehen«, sagte Ayane niedergeschlagen. Sie schien krampfhaft bemüht, die Tränen zu unterdrücken.
»Sobald die Obduktion beendet ist, werden wir Ihnen die Leiche des Verstorbenen schnellstmöglich übergeben.« Kusanagi fand seine eigenen Worte seltsam hart. Er verspürte immer eine gewisse Befangenheit gegenüber Hinterbliebenen, aber diesmal war das Gefühl noch stärker und irgendwie anders.
»Vielen Dank.« Für eine Frau hatte Ayane eine tiefe Stimme. Sie klang betörend in Kusanagis Ohren.
»Wir würden Ihnen auf dem Revier in Meguro gern einige Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Das hat man mir bereits
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