Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
der alte Platz der Scheiterhaufen ist noch an der Kirche zu sehen.
Das Geschehen kommt in Gang, als der Organist der Kathedrale vergiftet und völlig verwirrt in der Kirche gefunden wird. Seine letzte Botschaft – das berühmte Krimimotiv der ›dying message‹ – klingt unverständlich: Ein Mann habe am Seil gehangen, und eine Grabplatte habe sich bewegt. Da sein Stellvertreter dienstunfähig ist, telegraphiert der zufällig dort anwesende Professor Fen einen alten Freund herbei, um den Dienst zu übernehmen, wohl um einen verläßlichen Watson im Zentrum des Geschehens zu haben. Da der so herbeigerufene Vintner selbst unterwegs einen eigenen ständigen Begleiter akquiriert, gibt es zwei rivalisierende Watsons, wobei der erste den zweiten natürlich wortwörtlich »als Watson übertreffen« will.
In dem freischaffenden Komponisten Geoffrey Vintner, der auf Fens rätselhafte Aufforderung hin sofort abreist, hat Crispin wohl seinem Montgomery-Teil ein literarisches Denkmal gesetzt, durch seine Augen sehen wir den größten Teil des Geschehens. In der Tat scheint eine durchaus ernstgemeinte Organistenverfolgung Kern des Falles zu sein, ist Vintners Anreise doch von Drohbriefen, Warnungen und beinahe tödlichen Anschlägen begleitet.
Durch Vintners Augen und seinen fremden Blick lernen wir auch die merkwürdige Welt kennen, in der unser Roman spielt, die eines Domkapitels, wie es jeder ordentliche Dom besitzt. Einst lebten dessen Mitglieder wie Kanzler, Dechant, der hierarchisch sehr hoch angesiedelte Praecentor, ursprünglich der Chorleiter, später eher ein Ehrentitel, und die schlichten Kanoniker in einer stiftsähnlichen Gemeinschaft. Pfründe ernährten sie, und ihre Aufgabe waren das immerwährende Lob und die kontinuierliche Anbetung Gottes. In der anglikanischen Kirche mit ihrer Aufhebung des Zölibats ist es nun zu einer eigentümlichen Mischform gekommen, die den Kontinentaleuropäer an englische Colleges erinnert: Es gibt ein gemeinsames Klerikerhaus, in dem meist alle gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen, in dem einige auch wohnen, während andere daneben in eigenen Häusern mit ihren Familien leben. Außer der Pflicht, reihum die Stundengebete zu halten und die Messen zu lesen, hat man nicht eigentlich etwas zu tun, weshalb die Zeit je nach Temperament zur wissenschaftlichen Arbeit oder zur Krimilektüre genutzt wird – daß zu den Lieblingsautoren auch John Dickson Carr gehört, versteht sich fast von selber.
Ganz nach dessen Herzen ist der zweite Anschlag: Der Praecentor der Kathedrale wird von einem mit Vorhängeschlössern an der Wand befestigten Grabstein erschlagen, als er sich alleine in der abendlich dunklen, an allen Türen verschlossenen Kathedrale aufhält. Der Täter kann nur, wie die Zahl der Schlüssel und die Art ihrer Benutzung nahelegt, zum engsten Kreis des Domkapitels oder seinem nächsten Umfeld gehören. Aber wie um alles in der Welt hat er in der verschlossenen und offensichtlich leeren Kirche einen viele Zentner schweren Stein bewegt?
Garniert wird dies alles mit einem praktizierenden Psychiater, der den Glauben an Freud und seine Berufung verloren hat und deshalb Geistlicher werden will, einer Schwarzen Messe und dem damals noch exotischen Genuß von Haschisch oder auch Marihuana – zweimal wird liebevoll erläutert, man könne diesen merkwürdigen Stoff wie eine Zigarette rauchen. Auch sollte noch erwähnt werden, daß wir uns nach Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg befinden und Engländer, die es an Wachsamkeit und Patriotismus mangeln lassen, plötzlich mit Himmler im Nachttopf aufwachen könnten, wie Fen drastisch droht. Der Showdown ist mit Schießereien, Entführungen und diversen Mordanschlägen aktionistisch wie ein Spionageroman, obwohl Crispin diese Spezies nachweislich nicht mochte.
Und diese äußerst bunte Olla podrida bleibt dennoch immer ein klassischer Detektivroman, wenn auch keiner, den Fen selbst gerne durch Crispin der Nachwelt überliefert sähe: Im Umweg über seinen Watson macht Fen den Leser darauf aufmerksam, wann er die Lösung gefunden haben könnte und sollte. Fußnoten weisen nach, daß alle Clues dem Fairnessgebot gemäß genannt wurden; einer wurde sogar in Holmes’scher Weise hochgehoben und vorgezeigt. Als berühmtester ›Sherlockismus‹ gilt der Wortwechsel zwischen Watson und Holmes in »Silver Blaze« über »den rätselhaften Zwischenfall mit dem Hund«. »›Aber der Hund hat doch gar nichts gemacht‹ – ›Das war der rätselhafte
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