Heiliger Zorn
Sie offenbar nicht verstehen, Kovacs, ist, dass manche Leute ernsthaften Geschäften nachgehen. Sie kommen her und scheuchen die Exekutive mit Ihren kopflosen Gewaltexzessen auf, und als Nächstes werden die Bullen übermütig und fühlen sich verpflichtet, Leuten Ärger zu machen, die wir brauchen.«
»Die Sie wozu brauchen?«
»Das geht Sie einen Scheißdreck an.« Der sempai-Gesichtsausdruck stahl sich davon, und Yukio war wieder ganz und gar Millsport-Straßenschläger. »Halten Sie einfach für die nächsten fünf oder sechs Stunden den Kopf unten und versuchen Sie, nicht noch mehr Leute zu töten.«
»Und was dann?«
»Dann rufen wir Sie an.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das wird nicht reichen.«
»Nicht reichen?« Seine Stimme stieg eine Oktave höher. »Was denken Sie eigentlich, mit wem, zum Teufel, Sie reden, Kovacs?«
Ich maß den Abstand zwischen uns und die Zeit, die ich brauchen würde, um ihn zu erreichen. Den Preis in Schmerzen. Dann klatschte ich ihm die Worte hin, die ihn über die Kante stoßen würden. »Mit wem ich rede? Ich rede mit einem furzverdrahteten chimpira, mit einem beschissenen Straßenpunk aus Millsport, den sein sempai von der Leine gelassen hat. Und das wird langsam langweilig, Yukio. Geben Sie mir ihr Scheißtelefon – ich will jemanden sprechen, der etwas zu sagen hat.«
Seine Wut explodierte. Mit blitzenden Augen griff er nach etwas in seiner Anzugjacke. Viel zu spät.
Ich erwischte ihn.
Im Raum zwischen uns entfalteten sich Angriffsschläge, die von meiner unverletzten Körperhälfte ausgingen. Seitlich gegen Hals und Knie. Er klappte keuchend zusammen. Ich packte seinen Arm, verdrehte ihn und hielt das Tebbit-Messer so gegen seine Handfläche, dass er es sehen konnte.
»Das ist eine Bioware-Klinge«, erklärte ich ruhig. »Hämorrhagisches Fieber von Adoracion. Wenn ich Sie damit schneide, zerplatzt jedes Blutgefäß Ihres Körpers innerhalb von drei Minuten. Ist es das, was Sie wollen?«
Er stemmte sich gegen meinen Griff und schnappte pfeifend nach Luft. Ich drückte die Klinge fester an seine Haut und sah Panik in seinen Augen.
»Das ist keine schöne Art zu sterben, Yukio. Das Telefon.«
Hektisch durchwühlte er seine Jacke. Das Telefon fiel heraus und schlitterte über den Dauerbeton. Ich beugte mich weit genug vor, um mich zu vergewissern, dass es keine Waffe war, dann schob ich es mit der Fußspitze zu seiner freien Hand zurück. Mit zitternden Fingern hob er es auf. Er presste röchelnd Atemstöße durch den schnell anschwellenden Hals.
»Gut. Jetzt rufen Sie jemanden an, der mir weiterhelfen kann, und geben es dann mir.«
Er drückte ein paarmal mit dem Daumen aufs Display und hielt mir dann mit einem flehenden Gesichtsausdruck, der dem von Plex vor ein paar Minuten nicht unähnlich war, das Telefon hin. Ich fixierte ihn einen langen Augenblick, wobei mir die ansonsten eher störende Starrheit billiger Synthetikgesichter zugute kam. Dann ließ ich seinen ausgekugelten Arm los, nahm das Telefon und trat aus seiner Reichweite. Er rollte sich von mir weg auf den Bauch, die Hände immer noch am Hals. Ich hielt mir das Telefon ans Ohr.
»Wer ist da?«, fragte eine höfliche Männerstimme auf Japanisch.
»Mein Name ist Kovacs.« Ich vollzog den Sprachwechsel unwillkürlich nach. »Ihr chimpira Yukio und ich haben einen Interessenkonflikt, und ich dachte mir, dass Sie unser Problem vielleicht lösen wollen.«
Eisiges Schweigen.
»Genau genommen wäre es mir recht, wenn Sie es noch im Laufe des Abends lösen würden«, erklärte ich freundlich.
Am anderen Ende der Leitung war ein zischendes Einatmen zu vernehmen. »Kovacs-san, Sie begehen einen Fehler.«
»Tatsächlich?«
»Es wäre unklug, uns in Ihre Angelegenheiten hineinzuziehen.«
»Ich bin nicht derjenige, der hier irgendwen in irgendetwas hineinzieht. Im Moment stehe ich in einem Lagerhaus vor einem leeren Stück Boden, auf dem sich vor einer Weile noch etwas befand, das mir gehört. Und ausgesprochen verlässliche Quellen behaupten, dass es weg ist, weil Sie es genommen haben.«
Wieder Schweigen. Unterhaltungen mit der Yakuza enthalten immer lange Pausen, in denen man eigentlich nachdenken und aufmerksam auf das lauschen soll, was nicht gesagt wird.
Ich war nicht in Stimmung dafür. Meine Wunde schmerzte.
»Man hat mir gesagt, dass Sie in etwa sechs Stunden fertig sein werden. Damit kann ich leben. Aber ich will Ihr Wort, dass meine Ausrüstung sofort danach in einwandfreiem Zustand und
Weitere Kostenlose Bücher