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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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eigentümliche Gefühl, wenn Gegenstände »den Hintergrund meiner Augen berühren«. Man musste Nachsicht mit der armen Juliet haben. Mia nahm sich fest vor, jedes Mal zu reagieren, wenn jemand ›Mia‹ sagte.
    Am sechsten Tag reagierte sie, als man sie ›Mia‹ nannte, worauf die Schwestern sie anders und besser behandelten. Als sie sich erkundigten, ob sie dem Hamster einen Namen gegeben habe, antwortete sie: »Fred.« Als die Schwestern meinten, dies sei ein Jungenname, erwiderte sie, Fred sei die Kurzform von Frederike. Sie nahm den Hamster aus dem Käfig, streichelte ihn und achtete darauf, dass er genug zu fressen hatte. Damit zeigten sich die Schwestern sehr zufrieden.
    Der Hamster war ein hässliches kleines, rattenhaftes Ding mit Watschelgang, schwarzen Knopfaugen und winzigen zitternden Pfoten. Allmählich aber entwickelte er ein angenehm weiches braunes Fell. Irgendwann bekam der Hamster in seinem Käfig einen kurzen Anfall, Mia aber erzählte niemandem davon. Die Schwestern und der Arzt hätten sich bloß aufgeregt.
    Am siebten Tag wurde ihr bewusst, dass man sie früher wirklich Mia Ziemann genannt hatte und dass wahrscheinlich irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Bloß fühlte sie sich überhaupt nicht krank. Sie fühlte sich prächtig, großartig. Sie war sehr froh, das Privileg zu haben, die Person zu sein, die sie offenbar war. Wenn sie ernsthaft darüber nachdachte, dass sie Mia Ziemann war, dann stellte sich ein Geschmack ein, als habe sie sich auf die Zunge gebissen. Dann verspürte sie eine merkwürdige Angst, als verstecke Mia Ziemann sich im Schrank und warte darauf, dass es dunkel wurde. Als würde sie dann hervorkommen und wie ein Gespenst im Krankenzimmer umhertappen.
    Nachmittags zog sie ein paar von Mia Ziemanns Sachen an und unternahm einen langen Spaziergang, fünf-, sechsmal um das Krankenhausgelände herum. Mias Sachen waren gut gearbeitet, bedauerlicherweise aber passten sie nicht. Sie war nicht bloß magerer und schlanker, sondern auch fünf Zentimeter größer geworden. Sie konnte wieder recht gut gehen, doch ihre Hüften neigten zu einem eigenartigen Schlenkern. Während des Spaziergangs begegnete sie einer Menge ernstlich kranker Leute. Ihr wurde bewusst, wie glücklich sie sich schätzen konnte.
    Am Abend nahm sie zum ersten Mal an der Netzdiskussion der NTDZ-Unterstützungsgruppe teil. Der Umstand, dass so brillante Menschen ihre Intelligenz weit überschätzten, war sehr schmeichelhaft. Sie hatte den Eindruck, dass sie auch selbst etwas beitragen und vielleicht über ihre medizinischen Erfahrungen schreiben solle, kam aber nicht mehr mit dem Tippen zurecht.
    Die Untersuchungen ließ sie geduldig über sich ergehen, obwohl sie bisweilen ein wenig schmerzhaft waren. Andere Untersuchungen hingegen waren reine Denksportaufgaben: sie sollte Schachprobleme bewältigen, Kreuzworträtsel lösen und sonderbar geformte Klötze stapeln. Die Worttests waren ziemlich anstrengend, doch das Klötzestapeln fiel ihr leicht. Ihre geometrische Vorstellungskraft hatte sich offenbar um 15 Prozent verbessert. Teilweise war dies wohl ihrer verbesserten Reaktionsschnelligkeit zuzuschreiben, stand den Messergebnissen zufolge aber auch in Beziehung zur neoneuronalen Integration. Als sie sich durch die medizinische Prognose hindurchgearbeitet hatte, war sie sehr stolz auf ihre Fortschritte und nahm sich fest vor, fortan weniger zu reden und stattdessen mehr Bilder zu betrachten. Mit ihren kognitiven Stärken zu spielen. Vielleicht sogar ein paar Bilder zu malen, Fotos zu machen oder mit Ton oder virtuell zu modellieren. Es gab so viele wunderbare Möglichkeiten.
    Als man ihr Knetmasse gab, hatte sie eine Eingebung und modellierte den Hamster. Sie gab sich große Mühe. Als sie das Ergebnis betrachtete, zeigte man sich hocherfreut, womit sie fest gerechnet hatte. Man sagte ihr, sie werde bald entlassen werden und könne ihre Rekonvaleszenz in ihrer umgebauten Wohnung fortsetzen.
    Sie hatte es schon eine ganze Weile vermutet, doch erst jetzt wurde ihr vollständig bewusst, dass die Aufpasser strohdumm waren. Sie musste unbedingt machen, dass sie von hier fortkam, damit sie sich anderen Aktivitäten zuwenden konnte - etwas Interessanterem, als herumzuhängen und zusammen mit einem Hamster medizinische Pampe zu essen. Diese Aussicht war sehr verlockend. Bedauerlich war bloß, dass einer der männlichen Hilfskräfte wirklich gut aussah und sie sich ein wenig in ihn verliebt hatte. Aber es war schon gut so.

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