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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Selbst wenn sie ihn gebeten hätte, sie zu küssen, und er ihrer Bitte nachgekommen wäre, so hätte dies doch bloß mit diesen strengen ethischen Standards zu tun gehabt. Er hätte es niemals bis zum Ziel geschafft.
    Mittlerweile reagierte sie ständig auf den Namen ›Mia‹. Sie erledigte sogar einen Teil von Mias Arbeit. Da war ein Trick dabei, etwa so, als stellte man seinen Blick unscharf. Sie entspannte sich tief in ihrem Innern und ließ das Mia-Gefühl hochkommen, und dann konnte sie eine ganze Menge nützlicher Dinge tun, viel schneller tippen, im LEL-Bewertungslabor in San Francisco Passwörter eingeben, Tabellen zusammenstellen, ihre Flowware überprüfen, sogar mit dem Namen Mia unterschreiben. Sie gelangte zu der Einsicht, dass diese Mia ihr nicht übel wollte. Mia war nicht eifersüchtig und wollte ihr nicht weh tun. Mia war sanftmütig, verbindlich, entgegenkommend und nicht sehr interessant. Mia war nichts weiter als ein Haufen Gewohnheiten.
    Sie hatte gelernt, mit weniger Reden zurechtzukommen, einfach indem sie zuhörte und beobachtete. Es war erstaunlich, wie viel Menschen preisgaben, wenn man ihre Mimik und Gestik aufmerksam beobachtete. Meistens hatten ihre Äußerungen mit ihren wahren Gedanken nichts zu tun. Das galt besonders für die Männer. Man brauchte bloß ein wenig auf dem Stuhl zu rutschen, zu nicken, freundlich zu lächeln und ihnen tief in die Augen zu blicken, und schon schlossen sie einen in ihr Männerherz.
    Frauen ließen sich nicht so leicht an der Nase herumführen, doch auch sie zeigten sich beeindruckt, wenn man glücklich wirkte und selbstsicher auftrat. Die meisten Frauen waren weit davon entfernt, glücklich und selbstsicher zu sein. Die meisten Frauen hatten es wirklich nötig, sich zu beklagen. Wenn man sie ermunterte, einem ihr Herz auszuschütten, und häufig nickte und Ach-Sie-Arme und Ich-hätte-genauso-gehandelt sagte, dann schütteten sie einem ihr Herz aus. Sie wurden ganz zutraulich und dankbar. Beim Abschied hielten sie einen für eine famose Person.
    Man machte großes Aufhebens darum, dass sie zur Rekonvaleszenz nach Hause ging. Sogar die Presse zeigte Interesse - ein Netzreporter stellte ihr Fragen. Er sah gut aus, und im Verlauf des Interviews flirtete sie ein wenig mit ihm, was ihn ganz wirr machte und rührte. Sie nahm den Hamster mit nach Hause in die Parnassus Avenue und auch den Reporter. Sie bereitete ihm ein leckeres Essen. Der Reporter folgte ihr willig wie ein Lamm. Offenbar mochte er sie wirklich gern.
    Sie war froh, Gelegenheit zum Kochen und Essen zu haben, denn im Krankenhaus hatte man ihr gesagt, sie habe Probleme mit ihrem Appetit. Das stimmte auch - stellte man etwas vor sie hin, dann langte sie bereitwillig zu, gab man ihr aber nichts, dann nahm sie auch nichts zu sich. Der Magen knurrte ihr, und sie fühlte sich schwach und vielleicht ein wenig benommen, hatte aber keinen richtigen Hunger. Man hätte meinen können, sie sei ein wenig nahrungsblind geworden. Sie konnte Nahrungsmittel riechen und schmecken und verspeiste sie auch gerne, doch der Stirnreif meinte, ihr Hypothalamus sei nicht ganz in Ordnung. Man hoffte, es werde sich legen. Andernfalls würde man etwas unternehmen müssen.
    Das Kochen war großartig - sie brauchte sich nie Gedanken übers Kochen zu machen, sie entspannte sich einfach, und schon floss es ihr aus den Händen. Sie hörte zu, während sich der Reporter zwei Stunden lang über seine wichtigen Kontakte ausließ. Sie setzte ihm Essen vor und bereitete ihm einen Aufguss. Er war bloß ein Junge, gerade erst vierzig. Sie hätte ihn wirklich gern geküsst, war sich aber bewusst, dass dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein schwerer Fehler gewesen wäre. Man hatte ihre Wohnung wie eine Telepräsenzsite ausgestattet. Sie konnte sich nicht einmal kratzen, ohne dass ihre Fingerbewegungen in irgendeiner medizinischen 3-D-Datenbank aufgezeichnet wurden.
    Zum Abschied umarmte sie den Reporter an der Tür und küsste ihn. Ein richtiger Kuss war das nicht, aber ihr erster Kuss seit einer Ewigkeit. Sie begriff nicht, wie sie es so lange ausgehalten hatte, ohne jemanden zu küssen. Es war unglaublich dumm, etwa so, als wollte man aufs Trinken verzichten.
    Dann war sie wieder allein in der Wohnung. Ein wundervolles, köstliches, unglaubliches Gefühl. Abgesehen von den medizinischen Überwachungsgeräten. Bloß sie. Und die Geräte. Sie wusch das Geschirr ab und räumte auf.
    Anschließend saß sie vollkommen reglos am Küchentisch

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