Heiliges Feuer
beobachten. Das Enzephalometer, das er auf dem Kopf trägt, dient zur Überwachung der Parameter, die auf Gehirnschlag, Infarkt und neuronale Fehlfunktionen hindeuten ... Der Patient ist Professor Oates, er ist einer unserer Stars. Er ist hundertundfünf.«
»Du meine Güte.« Mia betrachtete ihn. Er war ein gut aussehender junger Mann.
»Er war ausgesprochen kooperativ. Ich muss Ihnen leider sagen, dass die Mitarbeit für unsere Patienten große Unannehmlichkeiten und Mühen mit sich bringt. Sie stellt eine große Beeinträchtigung der Karriere und des sozialen Lebens dar. Professor Oates nimmt die notwendigen Opfer um des medizinischen Fortschritts und des Wohlergehens der Politas auf sich.«
Mia betrachtete den Bildschirm. Der nackte Professor Oates wirkte nicht sonderlich glücklich. Vorsichtig sagte sie: »Ich bewundere den Mut, mit dem er diesen Akt der Selbstverleugnung auf sich nimmt.«
»Professor Oates ist ein sehr disziplinierter, am öffentlichen Wohl interessierter Mann. Was in Anbetracht der Situation nicht verwundern mag ... Er war früher Physiker. Jetzt will er die Physik aufgeben und sich stattdessen der Architektur widmen. Er begeistert sich sehr für Architektur. Wie ein frischgebackener Student.«
Mia beugte sich weiter vor. Trotz seines attraktiven Äußeren wirkte Professor Oates nicht sonderlich menschlich. Er wirkte wie ein begabter Profischauspieler, der vor den Kameras die Rolle des linkischen nackten Studenten gab. »Meinen Sie richtige Architektur oder virtuelle?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete Rosenfeld überrascht. »Wenn Sie möchten, können Sie den Professor selbst danach fragen. Wir haben natürlich eine eigene NTDZ-Unterstützungsgruppe. Sie trifft sich regelmäßig im Netz. Brillante Leute, reizende Leute. Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass Ihnen schwere Zeiten bevorstehen - zumindest aber werden Sie in guter Gesellschaft sein.«
Mia lehnte sich zurück. »Also, Professor Oates ist sicherlich ein sehr kultivierter junger Mann. Ich bitte um Verzeihung - jung wohl kaum. Ein verdienter Gelehrter.«
»Sie sind nicht die erste, die diesen Fehler macht«, meinte Dr. Rosenfeld erfreut. »Die Leute halten diese Patienten natürlich für jung. Die Menschen glauben gern, was sie sehen.«
»Das ist wundervoll. Das freut mich für ihn. Das macht mir richtig Hoffnung.«
»Da wäre noch etwas. Sie haben die Katze des Professors bemerkt?« Dr. Rosenfeld langte unter den Schreibtisch und holte einen Laborkäfig aus Plastik hervor. Darin befand sich Papierstreu und ein kleines schlafendes Nagetier. Ein Hamster.
»Ja?«, sagte Mia.
»Wir werden dieses kleine Tier der gleichen Prozedur unterziehen wie Sie. Der Hamster ist fünf Jahre alt. Das ist ein hohes Alter für einen Hamster. Alles, was Sie durchmachen, wird auch er durchmachen. Natürlich nicht im selben Tank, aber doch im wesentlichen dasselbe. Sie werden in Kürze posthuman sein. Und dieser weibliche Hamster wird postrodential sein. Wir möchten, dass Sie sich um ihn kümmern, wenn es soweit ist.«
»Ich mag keine Haustiere.«
»Das ist nicht Ihr Haustier. Das ist ein wertvoller Begleiter, der Ihren einzigartigen Zustand mit Ihnen teilen wird. Bitte machen Sie mit. Wir wissen, was wir tun.« Dr. Rosenfeld klopfte mit dem Fingernagel an den Käfig. Der alte Hamster erwachte nicht aus seinem Erschöpfungsschlaf. »Die Prozedur zu überleben und anschließend richtig gesund zu werden, sind zwei grundverschiedene Dinge. Und wir wollen, dass Sie gesund werden, Mia, wir wollen, dass alles glatt geht, und wir wissen, dass sich der Hamster günstig auf Ihren Heilprozess auswirken wird. Aus der Art und Weise, wie Sie mit einem Mitgeschöpf umgehen, welches das gleiche Purgatorium durchlaufen hat wie Sie, können wir eine Menge schließen. Das posthumane Leben kann sehr einsam sein. Betrachten Sie ihn als Glücksbringer und Totemtier. Glauben Sie an ihn. Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück.«
Mia machte ihr Testament. Sie fastete drei Tage lang. Dann wurde sie am ganzen Körper enthaart. Man entkleidete sie. Man füllte sie mit der Paste. Dann wendete man sich der Lunge zu, und Mia verlor das Bewusstsein. Alles andere verschwand an jenem Ort, der all die Erfahrungen, die sich nicht erfahren lassen, aufnimmt.
Als sie erwachte, war es Januar. Sie war sehr geschwächt und müde und hatte keine Haare mehr. Ihre Haut war fleckig und mit Flaum bedeckt wie bei einem Säugling. An den Fingern steckten kalte
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