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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bartens
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Erkrankungen gedacht sind.
    Doch auch in der Nische ist der Nutzen fraglich. Von 18 Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, die 2010 in Deutschland bis zum Oktober auf den Markt gebracht wurden, waren nur fünf von therapeutischer Relevanz, hat eine Analyse des Heidelberger Pharmakologen Ulrich Schwabe ergeben, der den kritischen »Arzneiverordnungsreport« herausgibt. In anderen Ländern ist die Situation ähnlich. Das unabhängige Pharmafachblatt »Revue Préscrire« vergab nur an 17 von 104 angeblichen Innovationen auf dem Medikamentensektor in Frankreich die Bewertung »womöglich hilfreich« oder »bietet gewisse Vorteile«. Kein Mittel war jedoch so überzeugend, dass es die bisherige Standardtherapie verdrängt hätte.
    Und die Patienten? Die US-Medikamentenbehörde FDA ließ beispielsweise einen neuen Antikörper für die Behandlung von fortgeschrittenem Dickdarmkrebs zu – dadurch überlebten Patienten 1,7 Monate länger. Die Zeit ohne Krebswachstum war 0,9 Monate länger. Während der Behandlung klagten 85 Prozent der Patienten über Hautschäden. Der Onkologe Tito Fojo und die Ethikerin Christine Grady kritisieren solche Erfolgsmeldungen als teure Augenwischerei: »Solche Ergebnisse führen zu der dringlichen Frage: Was zählt als Erfolg in der Krebstherapie? Und welchen Preis ist ein so geringer Nutzen wert?« [57]  
    Dass eine vorgeblich maßgeschneiderte Krebstherapie in vielen Fällen nicht erfolgreich sein kann, liegt an der Beschaffenheit der meisten Tumore. Kürzlich wurde gezeigt, dass allein beim Bauchspeicheldrüsenkrebs die enorme Zahl von 2516 Genen fehlreguliert sein kann. Welcher molekulare Marker soll diese entdecken, und auf welche Veränderung soll sich die Therapie konzentrieren? Es ist für einen Tumor eine Ausnahme, wenn er – wie im Fall der chronisch myeloischen Leukämie – bei 90 Prozent der Patienten auf eine einzige Chromosomenveränderung zurückgeht. Die daraus resultierende Überproduktion weißer Blutkörperchen kann gezielt mit dem Wirkstoff Imatinib (Handelsname Glivec) unterbunden werden. Doch diese rare Erfolgsgeschichte eines Medikaments rechtfertigt nicht die Übertreibungen und Propagandaartikel, in denen so getan wird, als ob die individualisierte Medizin bereits Alltag sei oder kurz vor dem Durchbruch stehe.
    Das gegenwärtige Konzept der individualisierten Medizin krankt zudem daran, dass es eingeengt ist auf die Biochemie und nach Eigenheiten von Rezeptoren oder molekularen Charakteristika der Krebszellen und Krankheitsgene sucht. Ob eine Therapie anschlägt, ist aber auch von der psychischen Verfassung der Patienten abhängig. Wer sich von einer Chemotherapie Heilung erhofft, wird mehr davon profitieren als ein Patient, der seinen siechen Körper mit Giften traktiert sieht – durch die identische Behandlung. Die Bedeutungserteilung, wie der Chirurg Bernd Hontschik diesen Prozess nennt, beeinflusst die Wirkung einer Therapie. »Jeder Patient ist individuell«, sagt der Arzt. »Ich wüsste nicht, was zehn Diabetiker gemeinsam haben außer einem entgleisten Blutzuckerspiegel.«
    Obwohl Belege für den Nutzen einer individualisierten Medizin fehlen, unterstützt die Politik die Neuausrichtung. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), auf Betreiben der Regierungskoalition seit Januar 2011 in Kraft, nimmt Medikamente gegen seltene Erkrankungen aus der für Patienten so wichtigen Nutzenbewertung aus. Damit kann jedes Mittel unter dem Schlagwort individualisierte Medizin zum Mittel gegen seltene Leiden werden. Es wird zugelassen, ohne dass klar ist, ob Patienten etwas davon haben. »Manchmal muss man befürchten, dass statt evidenzbasierter Medizin die marketingbasierte Medizin dominiert«, sagt Wolf-Dieter Ludwig, und es klingt nicht sehr hoffnungsvoll.

Blutwerte ohne Wert
    Sie gelten unter Ärzten wie Patienten als Fetisch. Vor kaum einer Untersuchung haben Kranke so viel Angst wie vor der Bestimmung von Biomarkern. Obwohl es sich nur um eine Blutabnahme handelt, wird den Werten hellseherische Kraft zugebilligt. Besonders Tumormarker gelten vielen Patienten als Hinweis dafür, ob Krebs wuchert, vor sich hin schlummert oder gar besiegt worden ist. Die regelmäßige Messung dieser Blutwerte ist ein lukratives Geschäft. Verantwortungsvolle Ärzte wissen aber längst, dass es unseriös wäre, anhand der Marker auf den Verlauf des Leidens oder auf mögliche Therapieerfolge zu schließen. Inzwischen schlagen Mediziner Alarm. Ärzte der Stanford-Universität

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