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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bartens
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längst nicht alles. Doshi und Co. haben 16 Anfragen (und die ausweichenden Antworten von Roche) von Oktober 2009 bis Februar 2011 aufgelistet, 60 Prozent der Daten fehlen bis heute. Der Briefwechsel liest sich wie ein Drehbuch zu einem Slapstick, denn der Arzneimittelhersteller fand immer neue originelle Gründe, nicht zu liefern: »Gerade mit ähnlicher Analyse beschäftigt«, »wir dachten, Sie seien zufrieden mit der letzten Lieferung«, »schon mehr als üblich«, »haben Zweifel, ob Sie unvoreingenommen vorgehen«, »einige Studien laufen noch«.
    Den Cochrane-Bericht veröffentlichten die Autoren dann in dem Bewusstsein, dass ihnen 60 Prozent der Daten zu Tamiflu fehlten, vermutlich waren darin für Hersteller Roche unpassende Daten mit negativen Ergebnissen enthalten. [86]   Was Roche verschickte, war zumeist das erste »Modul« eines Studienreports, obwohl aus den Daten hervorging, dass vier bis fünf Module zu einer Studie gehörten und sich erst in den späteren entscheidende Daten über Wirkungen und Nebenwirkungen verbargen. Die Autoren waren schockiert und »in ihrem Glauben an Veröffentlichungen erschüttert«, als sie die Bruchstücke sahen, die sie von der Pharmafirma bekamen. Nicht nur, dass weiterhin ein Großteil der Daten fehlte, auch die Doshi und Co. zugänglichen 40 Prozent waren für die Erstellung der Fachartikel von Roche-nahen Autoren geschönt worden. [87]   So wurden beispielsweise schwere Nebenwirkungen verschwiegen.
    Was nach einer dreisten Komödie klingt, hat tragische Elemente, denn hier wird Geld in dreistelliger Millionenhöhe verschleudert für einen behaupteten, aber nie bewiesenen Nutzen. Das unabhängige »Arznei-Telegramm« urteilte daher 2012 nüchtern: »Für die seit 2002 von der WHO empfohlene Einlagerung von antiviralen Mitteln wie Oseltamivir (Tamiflu) für eine Virusgrippe-Pandemie fehlt die wissenschaftliche Basis.« Das unwürdige Stück ist zudem dazu geeignet, das Vertrauen in den freien Austausch von Forschungsdaten zum Schutz der Bevölkerung zu untergraben. Die Hoffnung, dass Politik und Behörden eingreifen, kann man verlieren – sie berufen sich in ihren hilflosen Stellungnahmen jeweils auf den anderen. Dabei müssen sich die Länder 2012 oder 2013 entscheiden, wie sie mit den dürftigen Nutzenbelegen umgehen; die Tabletten sind nicht mehr lange haltbar.
    Ein schlechtes Licht wirft die Tamiflu-Geschichte auch auf die Zulassung von Medikamenten und die Diskrepanzen in der Beurteilung durch Behörden. Warum gab es nach der Zulassung von Tamiflu in den USA 1999 noch mehr als 100 Studien zu dem Mittel (und dem verwandten Relenza), wo doch bereits mit der Zulassung eigentlich alles hätte klar sein müssen, das heißt alle Sicherheitsbedenken ausgeräumt sein und Wirksamkeitsnachweise vorliegen sollten? Warum wurde Tamiflu bis heute nicht einer Nutzenbewertung – etwa durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – unterzogen? Und warum ist in dem seit Januar 2011 gültigen Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes – trotz der Empfehlung etlicher Experten – nicht vorgesehen, dass alle Studien, die begonnen werden, auch registriert werden müssen? Nur so ließe sich verhindern, dass unliebsame Daten einfach in der Schublade verschwinden.
    »Es ist ein täglicher Skandal«, sagt Gerd Antes, der das Deutsche Cochrane-Zentrum leitet. »Leider handelt es sich um die Spitze des Eisbergs. Noch immer gilt es als Kavaliersdelikt, Daten nicht zu publizieren, wenn sie nicht passen.« Mal entsprechen die Ergebnisse nicht den Erwartungen oder entkräften die Hypothese. Dann ändert sich die Forschungsrichtung, das Projekt versandet. Oder es lässt sich kein Profit daraus schlagen. »Mehr als 50 Prozent aller Studiendaten weltweit bleiben unter Verschluss«, beklagt Antes. »Diese Zahl kann man gar nicht genug betonen, und das Unterschlagen von Daten betrifft nicht nur die Industrie, sondern auch Unikliniken und Institute.«
    »Roche steht hinter den Daten, die Wirksamkeit und Sicherheit von Tamiflu belegen«, teilte der Hersteller im März 2012 auf meine Anfrage mit. »Fast 80 Prozent der klinischen Daten zu Tamiflu von Roche wurden durch Publikationen oder online der Wissenschaftsgemeinde zur Verfügung gestellt.« Für die Bilanz von Roche war die massenhafte Bestellung von Tamiflu ein Segen, Insider sagen: die Rettung in wirtschaftlich schweren Zeiten. »Roche arbeitet daran, die ausstehenden Daten ebenfalls

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