Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
öffentlich zur Verfügung zu stellen«, teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit. Darunter wäre auch die größte Studie – sie umfasst mehr als 1400 Probanden und ist seit 1997 noch nicht publiziert. Man darf gespannt sein, ob die Firma jemals alle Daten herausrückt, schließlich wurde das Mittel nach Firmenangaben »zur Grippe-Behandlung und Prävention bei 90 Millionen Menschen in über 80 Ländern eingesetzt«. Wer will schon seinen Goldesel schlachten lassen? Der Pharma-Multi weist ja selbst darauf hin, wer die Verantwortung dafür trägt, dass Medikamente sicher und zuverlässig sind. »Es ist Aufgabe der globalen Gesundheitsbehörden, detaillierte Informationen zu Medikamenten in einer Nutzen-Risiko-Untersuchung zu prüfen«, teilte die Roche-Sprecherin im April 2012 mit. Und solange die nur gegenseitig aufeinanderzeigen, wird sich so schnell nichts ändern.
Peter Doshi empört diese Verweigerungshaltung. Für ihn sind die Medikamente auf dem Markt zugelassen und kontrolliert von »Behörden, die Daten und Interessen der Industrie schützen« – und nicht die der Bevölkerung.
Immerhin äußerten sich die Kontrollbehörden nach dem Alarmruf im April 2012, wenn auch zögerlich. Sie wollen verhindern, dass weiterhin Forschungsergebnisse zurückgehalten werden. Führende Mitglieder europäischer Gesundheitsbehörden forderten einen neuen Umgang mit Medizinstudien. »Klinische Daten sollten nicht als vertrauliche Informationen der Hersteller verstanden werden«, betont Hans-Georg Eichler von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. [88] »Wir halten es weder für wünschenswert noch für realistisch, den Status quo mit einem begrenzten Zugang zu Studiendaten beizubehalten.«
Neben Eichler haben Fachleute französischer, britischer und niederländischer Medizinbehörden den Aufruf in einer Fachzeitschrift unterschrieben. Zwar müsse der Schutz persönlicher Daten und die Qualität der Auswertung gewährleistet sein, wenn alle Informationen aus klinischen Studien freigegeben würden. Ansonsten sei aber unbestritten, »dass in einer offenen Gesellschaft weder die Industrie noch Sponsoren oder Behörden das Monopol auf Daten« hätten. »Das ist ein wichtiger Schritt«, sagt Peter Doshi. »Meines Wissens gibt es damit erstmals ein öffentliches Bekenntnis von Seiten der Regulationsbehörden, dass klinische Studiendaten nicht Geheimbesitz der Hersteller sind.« Denn das kann man gar nicht deutlich genug sagen: Bleiben Daten geheim, sind Patienten in Gefahr: Übertreibungen zu neuen Therapien und Tests sind damit Tür und Tor geöffnet; gefährliche Nebenwirkungen bleiben womöglich verborgen.
In den USA plant die Arzneibehörde FDA einen Passus in der Patientenaufklärung, wonach Teilnehmern einer Studie mitzuteilen ist, wo diese registriert wurde. »Schließlich erklären sich viele Menschen zu klinischen Studien bereit, weil sie die Medizin voranbringen wollen«, sagt Doshi. »Bleiben die Daten hingegen unter Verschluss, unterminiert das dieses gemeinnützige Verhalten.« Mit dem neuen Passus werden juristische Schritte und Schadensersatzklagen möglich, sollten Studien verheimlicht werden.
»Die Wissenschaftsgemeinde braucht Studienunterlagen zur gründlichen Prüfung«, sagt Hans-Georg Eichler von der EMA. Mitglieder der unabhängigen Cochrane-Collaboration haben es hingegen erlebt, dass ihnen Zugang versprochen, aber nicht gewährt wurde. Bei einer Pharmafirma waren beispielsweise Ordner mit unterschiedlich farbigen Aufklebern versehen, hauseigene Forscher wachten darüber, dass nur die grün markierten Akten geöffnet wurden, erinnert sich Jos Kleijnen, ehemaliger Leiter des niederländischen Cochrane-Zentrums. Es ging damals um Vitaminstudien, und der Hersteller war – Roche.
Damit sich etwas ändert, braucht es allerdings Taten, nicht nur Worte. »Wirkliche Fortschritte zum Nutzen der Patienten kann es nur geben, wenn sich alle Beteiligten nicht nur zur Transparenz bekennen, sondern sie auch praktizieren«, sagt Gerd Antes.
Taten sind auch bald von den Bundesländern gefragt. Sie müssen sich entscheiden, ob sie das fragwürdige Tamiflu nachbestellen. Insider befürchten, dass die unnützen Arzneien erneut gekauft werden – würde jetzt darauf verzichtet, käme dies dem Eingeständnis gleich, seinerzeit bei der Bestellung falsch gehandelt zu haben. Bayern hat beispielsweise noch 2,8 Millionen Einheiten Tamiflu/Oseltamivir auf Lager. Hinzu kommen eine Million Einheiten der
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