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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bartens
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Ingrid Mühlhauser hat gezeigt, dass selbst in Broschüren von Ministerien und Behörden Informationen falsch wiedergegeben oder bewusst verzerrt werden. [97]   Dort ist zu lesen, dass die Wahrscheinlichkeit für Frauen, in den nächsten zehn Jahren an Brustkrebs zu sterben, um 25 Prozent sinkt, wenn sie am Mammographie-Screening teilnehmen. Das ist nicht falsch, vermittelt aber einen falschen Eindruck, denn bezogen auf 1000 Frauen sieht der mögliche Vorteil mickrig aus: Nehmen sie am Screening teil, sterben drei von 1000 Frauen in der nächsten Dekade an Brustkrebs. Machen sie bei der Früherkennung nicht mit, sterben vier von 1000. Die Steigerung von drei auf vier kann man als Steigerung um 25 Prozent bezeichnen – mit fairer Aufklärung hat das aber nichts zu tun.
    Die Angabe von 25 Prozent in diesem Fall bezieht sich auf die relative Risikosenkung. Die absolute Risikosenkung beträgt für die Mammographie hingegen eins von 1000 – das sind 0,1 Prozent. Obwohl diese Angaben zum kleinen Einmaleins der Risikoberechnung gehören, fallen Ärzte oft darauf herein und bewerten die Wirkung einer Therapie oder Früherkennung falsch.
    Der Hang zu guten Nachrichten in der Medizin ist verständlich. »Es gibt bei Ärzten wie Patienten einen chronischen Überoptimismus«, sagt Gerd Antes. »Der potentielle Nutzen einer Therapie oder Diagnostik wird überschätzt, der potentielle Schaden vernachlässigt.« Es klingt ja auch erfreulicher, wenn ein Herzmittel die Infarkthäufigkeit um 34 Prozent senkt, als zu erfahren, dass die Gefahr von 3,9 auf 2,5 Prozent und damit absolut nur um 1,4 Prozent gesunken ist. In Untersuchungen von Mühlhauser und Gigerenzer bewerteten 80 Prozent der Ärzte einen Behandlungserfolg als wichtig, wenn sie die relative Risikosenkung erfuhren. Sahen sie die absoluten Zahlen, war weniger als ein Drittel von der Therapie überzeugt.
    Auch Politiker greifen zu medizinischen Beschönigungen. New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani ließ in einer Wahlkampagne 2007 verkünden, dass er an Prostatakrebs gelitten habe, aber dass seine Chance, geheilt zu werden, in den USA 82 Prozent betrüge. »Meine Chance auf Heilung in England mit seiner sozialistischen Medizin? 44 Prozent!« Wie froh der Politiker sein konnte, in New York zu leben und nicht in York.
    Giuliani bezog sich auf Daten, wonach in Großbritannien 49 von 100000 Männern jährlich die Diagnose Prostatakrebs bekommen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sterben 28 von ihnen, das ergibt in der Tat eine Überlebensrate von 44 Prozent. Allerdings werden in den USA die meisten Diagnosen durch den umstrittenen PSA-Test gestellt, in England hingegen erst, wenn Symptome auftreten. Man stelle sich Patienten vor, die mit 67 Jahren ihre Diagnose bekommen und mit 70 sterben. Ihre Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt null Prozent. Wäre diese Männergruppe mit 60 Jahren getestet worden und mit 70 gestorben, läge ihre Überlebensrate bei 100 Prozent. Sieht statistisch einwandfrei aus, bringt den Männern aber keinen Tag mehr. »Höhere Überlebensraten bedeuten nicht, länger zu leben«, sagt Gerd Gigerenzer, der viele solche Beispiele aufgeschlüsselt hat.
    Werden Patienten in die PSA-Tests einbezogen, die an harmlosem Krebs leiden, der nicht wächst, nie Beschwerden verursacht und nie behandelt werden muss, ist die Überlebensrate noch höher. Beide Faktoren trugen dazu bei, dass die Überlebensrate in den USA doppelt so hoch erschien wie in Großbritannien. Dabei sind Männer in den USA keineswegs besser dran. In beiden Ländern sterben ähnlich viele Männer an Prostatakrebs – in den USA wissen sie nur früher davon.
    Wer diese verbreiteten statistischen Tricks nicht kennt, kann schnell in die Irre geführt werden. Ärzte können Manipulationsversuchen von Politikern und Pharmafirmen meist wenig entgegensetzen. Die Arzneimittelhersteller beschäftigen allein in Deutschland 16000 Pharmareferenten, die systematisch Praxen und Kliniken aufsuchen und Ärzte bearbeiten. Eine teure Investition, die sich aber offenbar lohnt. Mediziner in Deutschland fallen leicht auf die Hochglanzbroschüren mit den bunten Tortengraphiken herein.
    Ein entscheidender Grund dafür, dass Ärzte in Deutschland anfällig für Fehlinformationen sind, ist ihre Fortbildung. In englischsprachigen Magazinen wie dem »New England Journal of Medicine«, »JAMA«, dem »British Medical Journal« oder »The Lancet« werden die spannenden Debatten geführt und

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