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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Selbstzerstörung erkranken mochten. Menschliche Krankheiten hatte man praktisch eliminiert. An ihre Stelle waren wahre Seuchen der Fortbildung getreten, gegen die ich mich auf eigenen Wunsch hatte immunisieren lassen. Wie die meisten Menschen auf der Erde lebten auch die New Yorker in einer Datengrütze, die selbst lebendig war.
    Die neuesten Informationen über Sprache, Geschichte und Kultur schwirrten durch die Luft. An den wichtigsten Standorten spuckten kommerzielle Ventilatoren Viren und Bakterien aus. Man konnte sie aber auch an Infektionsständchen erwerben, die alles vermittelten, was der trendbewusste New Yorker möglicherweise wissen wollte. Die Immunisierung bewahrte nicht-therapierte Besucher, die an diese Grütze nicht gewöhnt waren, vor Abwehrreaktionen.
    Die Sonne verschwand hinter einem großen kubischen Gebäudekomplex in New Jersey. Lichter blitzten auf und schickten ihre goldenen Strahlen durch den leichten Nieselregen.
    Von den Mauern sprangen einem Reklamebilder ins Auge, eine Flut aufdringlicher Symbole, die mir wenig sagten. Die gezielte Werbung war zu einer Wissenschaft perfektioniert worden. Konsumenten wurden dafür bezahlt, dass sie Transponiergeräte mitführten, die den Werbeflächen ihre ganz speziellen Kundeninteressen vermittelten. Die Werbeflächen zeigten ihnen nur das, was sie möglicherweise erwerben wollten: Produkte, urheberrechtlich geschützte LitVids, neue Simulationen, Eintrittskarten zu Live-Veranstaltungen. Das Dasein als Konsument bot seit langem auch gewinnträchtige Beschäftigungsmöglichkeiten. Manche New Yorker schwammen auf dieser Welle mit, die sie in beruflicher Hinsicht zu Sklaven der Werbung machte. Sie wechselten ihre Identitäten mit den Stadtteilen und handelten mit Einkaufsbons, die sie als Testpersonen der Werbung erworben hatten.
    Da ich kein Transponiergerät besaß, sah ich nur die Bilder – projizierte Firmensymbole, die mir wie seltsame Insekten über dem Kopf schwirrten.
    Nach dem, was ich von Kursen an der Mars-Universität über Regierungsführung wusste, hatten die Wirtschaftssysteme der Erde im einundzwanzigsten Jahrhundert einen so hohen Grad von Komplexität erreicht, dass nur noch Denker den Durchblick hatten. Und als auch die Denker immer komplexer wurden, nahm die Komplexität der Wirtschaftssysteme noch weiter zu, bis die ökonomische Balance schließlich am seidenen Faden hing.
    Kein Wunder, dass in dieser Kultur die Psychologie Schlüsselfunktion für die wirtschaftliche Stabilität hatte.
    »Casseia!« Orianna stand auf einer niedrigen Mauer und spähte über die Menschenmenge hinweg. Am Rande des Bürgersteigs umarmten wir einander. »Schön, dich wiederzusehen. Wie war die Reise?«
    Ich lachte und schüttelte den Kopf, noch wie betäubt von dem, was ich gesehen hatte. »Ich fühle mich wie ein …«
    »Fisch auf dem Trockenen?«, fragte Orianna grinsend.
    »Eher wie ein Vogel beim Ertrinken!«
    Sie lachte. »Kalkutta würde dir den Rest geben!«
    »Bloß nicht da hin«, sagte ich.
    »Dort, wo wir hingehen, meine Liebe, ist es ruhig. Die Wohnung gehört meiner Mutter, sie liegt oben, in der 64. Straße Ost, das ist ein historisches Viertel. Ein paar Freunde möchten dich gern kennenlernen.«
    »Ich hab ja nur ein paar Tage …«
    »Ist doch toll, ehrlich! Du bist sogar in den LitVids, wusstest du das?«
    »O Gott, ja.«
    Wir nahmen ein Taxi, und sie rief die Nachrichten von ihrem Kom ab. Sie hatte sich in ein erdweites Netz eingeklinkt und alles gespeichert, das mit unserem Besuch zu tun hatte. Die projizierten Gesichter von Bithras, Allen und mir schwebten wie kleine Puppenköpfe durch das Taxi. Textzusammenfassungen und Symbole leuchteten auf, langsamer als üblich, da meine Augen nicht daran gewöhnt waren. Ich bekam etwa zwei Drittel von dem, was gesprochen wurde, mit. GOWA und GASH hatten sich mit EUROCON zusammengetan, um weltweit einen gemeinsamen Vorschlag zur Lösung dessen zu unterbreiten, was inzwischen die Mars-Frage genannt wurde: die Weigerung oder Unfähigkeit des Mars, bei dem Vorstoß ins All mitzumachen.
    »Man hat euch jetzt die Daumenschrauben angelegt«, stellte Orianna fröhlich fest.
    Ich war entsetzt.
    Weitere Beiträge brachten Einzelheiten unserer Lebensläufe und stellten uns als das Beste hin, was die marsianische Diplomatie zu bieten hatte. Letzteres war anscheinend ironisch gemeint, aber ich blickte nicht richtig durch.
    »Du bist berühmt, meine Liebe«, sagte Orianna. »Ein Mädchen aus der Pionierzeit.

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