Heimat Mars: Roman (German Edition)
Frauen trugen einfach geschnittene lange Kleider aus Naturstoffen. Die schwarz und weiß gekleideten Kinder hüpften und tanzten fröhlich umher.
»Sie sind süß, nicht?«, fragte Orianna und warf über die Schulter einen Blick auf die Familie. »Total reaktionär! Keine Modifikationen, keine Therapie, negieren den Trend.«
»New York ist ein idealer Ort für so was«, sagte Kite.
Als nächstes begegneten wir drei Frauen in roten Shadors, danach einer Frau, die fünf blaue Hunde ausführte. Ihr folgten ein Roboter, der eine Mülltonne trug, und fünf nackte Männer, die im Gänsemarsch liefen. Nicht, dass es anstößig gewirkt hätte: Ihre bloßen braunen Körper waren völlig glatt und ohne jede Geschlechtsmerkmale. Der nächste Passant war ein männlicher Zentaur mit halbem Pferdekörper, der ganz locker am Fußweg entlangtrabte. Sein menschlicher Teil trug einen seriösen Anzug aus Wolle im englischen Edward-Stil und eine Melone. Danach kamen Frauen im Jaguar-Pelz – keine Mäntel, sondern gewachsenes Körperfell – und zwei junge Mädchen, vielleicht zehn Erdenjahre alt, in weißen Ballettkleidchen. Aus ihren Rücken wuchsen Elfenflügel (ob sie nur auf Zeit dort angebracht oder fest angewachsen waren, konnte ich nicht sagen). Eine Schar fröhlich schnatternder Schulkinder in roten Umhängen und schwarzen Shorts wurde von Männern in schwarzen Soutanen angeführt (»Papistische Katholiken«, erläuterte Kite). Danach weitere Designer-Körper mit mineralienartigen Mustern, sehr viele Menschen, die auch auf dem Mars nicht weiter aufgefallen wären, und natürlich die ›Mechanischen‹, die wesentliche Teile ihrer Körper durch Metallplatten voller Biorep-Nanos ersetzt hatten. Eine solche Ausstattung war, wie ich erfuhr, außerordentlich kostspielig. Ein völlig neuer Körper war viel billiger. Beide Verfahren waren gesetzlich verboten, es sei denn, man konnte wesentliche Behinderungen aufgrund des Genotyps und von Geburt an nachweisen. Solche Veränderungen erinnerten zu sehr an die Eloi und ›Tausendjährigen‹.
»Nach dem Mittagessen gehen wir in den Central Park«, kündigte Orianna an. »Und dann …«
Kite lachte. »Orianna hat Beziehungen. Sie will dir etwas zeigen, das ihr auf dem Mars ganz bestimmt nicht habt. «
»Einen Omphalos«, erklärte Orianna. »Vater hat Anteile daran.«
Wir aßen in dem Delikatessenladen. Es roch nach gekochtem Fleisch, ein Geruch, der mir unbekannt, aber dennoch zuwider war, auch wenn ich nicht wusste, ob dort tatsächlich Fleisch abgekocht wurde. Die Kunden – hauptsächlich Szene-Leute, viele davon Mutanten – standen vor Glasvitrinen Schlange. Was darin lag, war anscheinend scheibchenweise aufbereitetes Tierfleisch. Plastikschilder auf Metallspießen erläuterten, um was es sich bei dieser undefinierbaren Masse handelte: um Schinken (geräucherte Schweinebeine), um Corned Beef (von Kühen, mit Korn hatte es nichts zu tun) und sonstiges Fleisch vom Rind, um Pastrami (eine andere Art von Rindfleisch, überzogen mit einer Pfefferschicht), geräucherten Fisch, Fisch, eingelegt in gegorene Milchprodukte, Gemüse, eingelegt in Salz und Essig, Schweinefüße in Gläsern und andere Dinge, die selbst auf der Erde einen wahren Aufruhr provoziert hätten, wenn sie echt gewesen wären.
Wir blieben an der Theke stehen, bis der Angestellte unsere Bestellung aufgenommen hatte, und ließen uns dann an einem freien Tisch nieder. Die marsianische Zurückhaltung bewahrte mich davor, Orianna zu sagen, wie ekelig ich das alles fand. Orianna bestellte für mich Kartoffelsalat, Räucherlachs, ein Laugenteigbrötchen und Rahmkäse.
»Das Zeug hier ist das beste in der ganzen Stadt«, sagte sie. »Der Laden wurde vom New Yorker Denkmalschutz eingerichtet. Von Historikern. Das Essen lassen sie von einem Nano-Künstler entwerfen, er ist orthodoxer Jude, Mitglied der Versammlung Abrahams. Die haben eine Ausnahmegenehmigung und dürfen Fleisch verzehren. Hat bei denen religiöse Gründe. Er selbst isst schon seit zehn Jahren kein Fleisch mehr, aber er weiß noch, wie es schmeckt.«
Unser Essen kam. Der Lachs schien roh zu sein, fühlte sich schleimig-elastisch an und schmeckte versalzen und widerlich.
»Auf dem Mars habt ihr doch auch Fleischimitate, oder nicht?«, fragte Kite.
»Die wirken aber nicht so echt«, antwortete ich. »Und stinken auch nicht so.«
»Tja, das hängt damit zusammen, dass Geschichte derzeit im Trend liegt«, sagte Shrug. »Imitation ist schließlich nichts
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