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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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als wichtig betrachtete, die aber selbst Charles kaum etwas sagten.
    »Ich hab das Neue System gefunden«, rief Hergesheimer. »Wir sind vierkommaneun Billionen Kilometer entfernt.«
    Ich löste den Blick von den Projektoren, um Charles anzusehen. Er lag bewegungslos auf der Couch. Leander kniete neben ihm und sah mich mit ratloser, bekümmerter Miene an.
    »Können Sie ihn verstehen – in der Simulation?«, fragte Leander.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. Ich widmete mich wieder den Projektoren und schloss die Bänder an, um erneut einzutauchen. Ich konnte Charles nicht hören. Aber über die Übersetzung bekam ich mit, dass die wechselnden Zahlenreihen von jemandem gesteuert wurden, dass jemand den QL fest im Griff hatte.
    »Ja«, sagte ich. »Ich spüre ihn. Er ist hier.«
    »Ja«, sagte ich zu der festen Hand, zu dem Mann, der das Pferd am Zügel hatte.
    Wechsel des Bezugsrahmens in …
    … in überhaupt keiner Zeit. Es gab keine Zeit, es gab nur die Anpassung ans Neue System.
    Zwei Drittel eines Lichtjahres. Nachdem wir eine Entfernung von zehntausend Lichtjahren überbrückt hatten und aus dem heimatlichen Sonnensystem hierher gekommen waren, konnte der nächste Schritt als Kinderspiel gelten. Wir würden mit der Zehenspitze ins Wasser unseres neuen Meeres eintauchen. Charles konnte es schaffen.
    Und schaffte es.
    Die Leere war uns inzwischen schon fast vertraut, war ein Ort der Ruhe wie der Möglichkeiten. Und innerhalb dieses stillen Ortes war die feste Hand zu spüren, die den QL lenkte.
    »Nicht verrückt«, sagte Charles. »Der QL ist nicht verrückt. Er ist nicht einmal exzentrisch.« Einen Augenblick lang dachte ich, er rufe den Namen einer Frau, einer Geliebten. Agnes Day. Wer ist sie, Charles?
    »Jetzt hör mir genau zu, denn es wird keine Zeit bleiben, es ein zweites Mal zu sagen: Du verkörperst genau die Frau, die ich mir vorstelle. Gott steh mir bei, Cassie.«
    Agnus dei hatte er gesagt, Lamm Gottes.
    »Du bist stark, du bist liebevoll und sorgst dich um andere, und sie werden dich verfolgen.«
    »Hast du sie auch gesehen, Charles?«
    »Ich muss nichts sehen. Ich kenne die Menschen beinahe so gut wie du. Ich werde in keiner irgendwie nützlichen Form präsent sein, denn diese Sache wird … wird mich schlicht umbringen.
    Cassie. Aber du hast sie alle gerettet. Die Geschichte mahlt manchmal sehr fein. Und der Staub besteht aus Knochen – oder Asche.«
    »Wir tragen die Verantwortung.«
    »Sie werden dich an den Pranger stellen, Cassie. Ich wünschte, ich könnte dein Schicksal teilen. Stephen wird es tun, die anderen auch. Ich wähle den leichteren Weg.«
    »Charles, nein!«
    »Die Zeit ist um.«
    Ich spürte das Potential nicht einmal. Vielleicht hatte er deshalb mit mir gesprochen. Weil dieses letzte, endgültige Verdrehen der Zehenspitze das Schwierigste und Schlimmste war.
    Plötzlich taten die Bilder, die mir in die Augen und durch den Kopf schossen, abartig weh. Keines davon ergab irgendeinen Sinn. All diese Botschaften, Namen und Bezeichnungen vermischten sich, jeder Zusammenhang zerriss. Ich konnte nicht verarbeiten, was ich sah. Die Übersetzung schnitt mich von der Übertragung ab und ließ mich in einer neutralen, lautlosen Dunkelheit zurück. Leander schob die Bänder von meinem Kopf und stieß die Projektoren von meinen Augen weg.
    Charles wand sich auf seiner Couch hin und her, hatte die Zähne zusammengebissen und grinste schrecklich. Ich stand von meiner Couch auf und ging zu ihm hinüber. Von der Galerie und den Räumen außerhalb des Labors waren Chaos und Gebrüll zu vernehmen. Für den Augenblick schienen uns alle vergessen zu haben.
    »Wir sind da!«, schrie Hergesheimer. »Mein Gott, wir sind wirklich angekommen!«
    Erst da entspannte sich Charles. Sein Kopf rollte von einer Seite zur anderen, die Augen rollten in den Augenhöhlen hin und her. Ich umfasste seinen Kopf, als Leander die Leichtleiterverbindungen kappte. Die medizinischen Roboter drängten sich durch die plötzlich versammelte Menge, übernahmen die Regie und hoben Charles auf eine Trage.
    Benommen kauerte ich mich neben der leeren Couch auf den Fußboden. Wir hatten es geschafft. Charles hatte es geschafft.
    Hergesheimer spazierte vor einem Vidbild des Neuen Systems hin und her und deutete auf bestimmte Sterne, als handele es sich um seinen höchstpersönlichen Triumph. Rund ums Labor leuchteten Bilder der neuen Sonne auf.
    Leander zog mich mit starken Händen hoch und hielt mich an den Schultern

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