Heimat Mars: Roman (German Edition)
ich wollte unser Zusammensein davon nicht beeinträchtigen lassen. Ich strich ihm mit dem Finger über die Lippen. »Geduld«, sagte ich so liebevoll wie möglich. »Egal, ob wir aus Stein oder aus was anderem sind: Für schlichte Menschen ist das eine verdammt ernste Angelegenheit.«
»Du hast recht. Ich bedränge dich schon wieder.«
»Ich wüsste bis heute nicht, wie gut du als Liebhaber bist«, sagte ich, »wenn du mich nicht ein bisschen bedrängt hättest.«
Auf der Rückfahrt nach Shinktown machte ich ein Nickerchen. Wie ein treues Pferd fand der Schlepper von allein den Weg nach Hause. Charles stupste mich zwei Stunden vor unserer Ankunft leicht in die Seite. Ich erwachte und entschuldigte mich bei ihm. Ich wollte nicht, dass er sich vernachlässigt fühlte. Ich drehte mich um, blickte auf die kurze Staubfahne hinter uns und sah dann Charles im Fahrersitz an. »Danke«, sagte ich.
»Wofür?«
»Dafür, dass du mich bedrängt hast.« Fast hätte ich gesagt: Dass du eine Frau aus mir gemacht hast, aber vielleicht hätte er es nicht als besonders witzig empfunden. Und ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, ich ginge leichtfertig mit dem um, was zwischen uns passiert war.
»Darin bin ich gut«, erklärte er.
»Du bist in vielen Dingen gut.«
Ich hatte meiner Familie versprochen, einige Tage an meinem Heimatort Ylla zu verbringen, ehe ich wieder zur Uni musste. Mir blieb noch eine Woche, aber erst einmal musste ich nach Durrey zurück, denn von dort aus fuhren die Hauptzüge nach Norden. Charles würde noch ein paar Tage in Shinktown bleiben.
Wir stellten den Schlepper in der Garage des Autoverleihs ab und küssten uns noch einmal voller Leidenschaft. Dann gingen wir zum Bahnhof von Shinktown und versprachen uns ein Wiedersehen, sobald das Semester losging.
Als ich wieder in Durrey war, machte mir Diane Johara, mit der ich wieder ein Zimmer teilte, die Tür auf. Sie lächelte mir erwartungsvoll zu. »Na, wie war er denn so?«
»Wer?«
»Charles Franklin.«
Ich hatte ihr erzählt, dass ich einen Ausflug zur Oberfläche machen würde, aber Einzelheiten für mich behalten. »Hast du mir etwa nachspioniert?«, fragte ich.
»Keineswegs. Während ich zu Hause auf der Farm war, sind hier in Durrey Nachrichten eingegangen. Eine kam von einem Charles aus Shinktown. Aufgegeben am Bahnhof. Wo ist denn dein Kom?«
Ich verzog das Gesicht, weil mir einfiel, dass ich es aus Versehen im Schlepper hatte liegenlassen. Vielleicht hatte sich Charles deshalb gemeldet. »Ich hab’s leider unterwegs vergessen.«
Diane zog eine Augenbraue hoch. »Ich hab mir die Liste von damals angesehen. Ich nehme an, das ist derselbe Charles, mit dem zusammen wir die Sache an der Mars-Uni Sinai durchgestanden haben?!«
»Wir haben nach Fossilien gesucht.«
»Und das drei Tage lang …?«
»Du hörst wirklich das Gras wachsen, Diane.«
Sie ging mir in meinen Wohnbereich nach, der durch einen Vorhang abgetrennt war. Ich zog das Bett aus der Wand und warf meinen Koffer auf die Überdecke.
»Er wirkte sehr nett«, stellte Diane fest.
»Möchtest du die sensationellen Einzelheiten hören?«, fragte ich ärgerlich.
Diane zuckte die Achseln. »Beichten tut der Seele gut.«
»Du musst dich auf deinem Hof ja fürchterlich gelangweilt haben!«
»Der Hof ist immer so dreckig wie langweilig. Nur Brüder und verheiratete Vettern um mich herum. Aber es gibt dort ein tolles Schwimmbecken. Du solltest irgendwann mal mitkommen. Vielleicht lernst du dort jemanden kennen, der dir zusagt. Du würdest unserer Familie gut tun, Casseia.«
»Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass ich meine Familienzugehörigkeit wechseln möchte?«
»Wir haben allerhand zu bieten«, sagte sie fröhlich.
»Diane, du bist wirklich eine Landplage.« Ich packte schnell aus und verstaute alles in den Schubladen. Der Gedanke, den Rest der Ferien ganz allein verbringen zu müssen, stimmte mich trübe.
»Gibt es in deiner Familie attraktive Männer?«, wollte Diane wissen. »Ich wäre schon bereit, mich einer anderen Familie anzuschließen … wenn es um jemanden wie Charles ginge.«
Noch vor wenigen Monaten hätte ich ihr die Zunge herausgestreckt oder ein Kissen an den Kopf geworfen. Aber irgendwie wirkte das jetzt nicht angemessen. Ich hatte einen Geliebten – wurde geliebt –, und das setzte in gewisser Hinsicht sogar noch mehr Reife voraus, als mir die Aktion an der Mars-Uni Sinai abverlangt hatte.
»Also gut. Ich bin mit Charles zu einem Stützpunkt
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