Heimat Mars: Roman (German Edition)
war.
Mein Kom wurde von einem Roboter der Post angeliefert, aber ich hatte bereits ein neues bestellt, da ich der Zimmeranlage nicht traute und nicht wusste, ob sie alle eingehenden Nachrichten aufgezeichnet hatte. Auf die Vorbereitung des kommenden Semesters konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren, ich war ein einziges Nervenbündel.
Diese Spannung und Ungewissheit war grässlich. Früher hatte ich gedacht, ich hätte mich selbst im Griff. Diese Selbstbeherrschung hatte ich inzwischen verloren. Jetzt fühlte ich mich meinerseits wie ein Fisch an der Angel. Der Zustand der Verwirrung wandelte sich zu dumpfer Traurigkeit. Aber ich rief ihn nicht an.
Nachdem drei Tage auf diese Weise vergangen waren, rief Charles mich schließlich direkt an. Ich war gerade dabei gewesen, mich auszuziehen, um sehr einsam ins Bett zu gehen. Ich warf mir einen Morgenmantel über und nahm den Anruf in meinem Zimmer entgegen. Sein Bild erschien lebensecht über meinem Bett. Charles sah erschöpft aus, klang furchtbar, und sein Gesicht war leichenblass. »Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe«, sagte er. »Ich wünschte, wir könnten persönlich miteinander reden. Hier ist die Kacke am Dampfen!«
»Was ist denn los?«
»Die Erde hat unserer BG alle Verträge gekündigt. Ich musste zu einer Familienversammlung nach McAuliff Valley fliegen. Da bin ich auch jetzt noch. Es tut mir so leid, du hast bestimmt gedacht …«
»Mir geht’s gut«, sagte ich. »Ich hab übers Netz noch gar nichts davon mitbekommen.«
»Es ist auch noch nicht publik. Erzähl’s niemandem, Casseia. Ich glaube, sie haben die Verträge deshalb annulliert, weil unsere Niederlassung auf dem Mond wichtige Bergbauprojekte angefangen hat. Die Erde sieht das gar nicht gern. Genauer gesagt: die Große Ost-West-Allianz, aber genauso gut könnte es die ganze Erde sein.«
GOWA, die Große Ost-West-Allianz, war eine Wirtschaftsgemeinschaft, der Asien, Nordamerika, Indien, Pakistan, die Philippinen und Teile von Malaysia angehörten. GOWA hatte schon vielen BGs, auch Majumdar, zu schaffen gemacht.
»Ist es wirklich so schlimm?«
»Wir können keine Waren mehr zur Erde schicken und mit den GOWA-Bevollmächtigten auch keine Daten mehr austauschen.«
»Inwieweit trifft es dich persönlich?«
»In den nächsten fünf Erdenjahren werden wir einen totalen Verlust einstecken müssen. Mein Stipendium kann ich vergessen. Ich hatte gehofft, ich könnte mich im fünften Studienjahr der TransMars-Physikergemeinschaft anschließen. Aber wenn die BG Klein nichts beisteuern kann, fehlt mir das Geld für die Studiengebühren, dann kann ich nicht mal weiterstudieren.«
»Verdammt«, sagte ich. »Ich weiß, was das bedeutet.«
»Im Augenblick geht gar nichts mehr, Casseia. So wie du gesagt hast … dass du Zeit brauchst, um über alles gründlich nachzudenken …« Seine Stimme brach, er bemühte sich um Beherrschung. »Casseia, ich kann mich jetzt unmöglich binden, ich hab überhaupt keine Aussichten auf ein Stipendium …«
»Das macht doch nichts«, sagte ich.
»Ich komme mir wie ein Idiot vor. Alles lief so gut, ich dachte, wir könnten vielleicht …«
»Ja.« Er tat mir so leid.
»Es tut mir so leid«, sagte Charles.
»Es muss dir aber nicht leid tun.«
»Ich liebe dich so sehr.«
»Ich weiß.«
»Ich möchte dich sehen. Sobald ich hier weg kann. Die Familie muss einige Entscheidungen treffen. Wir müssen die neue Richtung der BG gemeinsam festlegen, überlegen, wie wir reagieren und so weiter …«
»Das sind schwerwiegende Dinge, ich weiß.«
»Ich möchte, dass wir uns treffen. Wenn wir wieder in Durrey sind. Oder auch in Ylla, egal wo. Ich will dich nicht wieder bedrängen, ich will dich einfach nur … sehen.«
»Ich dich auch.«
Noch einmal sagte er: Ich liebe dich. Wir stammelten noch ein paar Abschiedsworte, dann verblasste sein Bild. Ich atmete tief durch und holte mir ein Glas Wasser. Dass Charles in einer schwierigen Lage war, bedeutete für mich eine Entlastung. Ich war einerseits erleichtert, andererseits hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich musste so schnell wie möglich mit irgend jemandem reden. Aber ganz bestimmt nicht mit meiner Mutter oder meinem Vater.
Ich rief Diane an.
Als sie abnahm, war die Bildverbindung zunächst tot, dann schaltete Diane sie ein. Sie trug einen schäbigen alten blauen Morgenrock aus ihren Mädchenjahren, an dem sie hing. Ihr Haar hatte sie mit Vivid verkleistert. Vivid war ein Mittel
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