Heimat Mars: Roman (German Edition)
ist. – Anm. d. Übers.) hätten«, überlegte Charles, »Zugang zu den nicht-erlaubten Bahnen {6} , auf denen das gesamte Universum seine Buchhaltung abwickelt …«
Er lächelte verlegen. »Dann würden wir den Status quo durchbrechen. Gewaltig durchbrechen. Das wäre die größte Revolution aller Zeiten … viel größer als die Nano-Revolution. Siehst du dir eigentlich hin und wieder Zeichentrickfilme an?«
»Was meinst du damit?«
»Animierte Figuren aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Zeichentrickfilme von Disney. Bugs Bunny, Road Runner, Tom und Jerry.«
»Ein paar hab ich gesehen.«
»Als Kind hab ich sie mir ständig angesehen. Sie waren billig – allgemein zugängliche Software –, und sie haben mich fasziniert. Tun sie heute noch. Ich hab sie mir angesehen und versucht, irgendeinen Sinn in einer solchen Welt zu erkennen. Ich hab sogar die Mathematik herangezogen. Diese Darstellung der Realität spielt mit der Voreingenommenheit des Beobachters: Niemand fällt, bis der Zuschauer weiß, dass die entsprechende Figur soeben den Klippenrand überschritten hat … Verletzte Körper werden sofort wieder ganz. Nichts hat irgendwelche Konsequenzen. Ständig fließt Energie. Die Zeit ist eingegrenzt. Gleiche Ursachen haben ganz unterschiedliche Wirkungen. An sich ziemlicher Blödsinn, aber er hat mich zum Nachdenken gebracht.«
»Und unser Universum funktioniert auf diese Weise?«
»Vielleicht mehr, als uns klar ist! Die Vorstellung, dass es auch andere Realitäten geben, dass es auch anders funktionieren kann, fasziniert mich. Nichts ist ein- für allemal festgelegt, nichts ist tabu, nichts ist durch ein höheres Wesen vorherbestimmt – alles hängt vom jeweiligen Prozess und der Evolution ab. Das ist Vollkommenheit. Und das bedeutet auch, dass wir all das vielleicht verstehen könnten, wenn wir unsere Vorurteile abschütteln und es gelassen angehen würden.«
Als wir die Inspektion beendet hatten, blieb uns kein Vorwand, unseren Besuch noch länger auszudehnen. In wenigen Stunden mussten wir den Schlepper wieder in Shinktown abliefern.
Charles wirkte niedergeschlagen. »Ich will eigentlich gar nicht zurück«, sagte er. »Dieser Ort ist ideal, wenn man allein sein will.«
»Na ja, nicht ganz ideal«, sagte ich und schlang einen Arm um seine Taille. Hüfte an Hüfte durchquerten wir den Tunnel von der Pumpe zum Weinkeller.
»Niemand belästigt uns, wir können Besichtigungen machen, an verschiedene Orte fahren …«
»Und der Wein geht niemals aus«, fiel ich ein.
Charles sah mich an, als sei ich der wichtigste Mensch auf der Welt. »Es wird mir schwerfallen, heimzufahren und dich eine Weile nicht zu sehen.«
Daran hatte ich noch gar nicht recht gedacht. »Jetzt müssen wir uns wieder wie verantwortungsbewusste Erwachsene benehmen.«
»Ich fühle mich verdammt verantwortungsbewusst«, entgegnete Charles. »Ich möchte eine Partnerschaft mit dir eingehen.«
Ich war ganz erschrocken darüber, wie rasend schnell sich die Dinge zu entwickeln schienen. »Mit staatlicher Urkunde?«
»Ich möchte einen Vertrag abschließen.«
So nannte man das auf dem Mars, aber irgendwie klang es nicht so romantisch, als wenn man sagte: »Ich möchte dich heiraten.« Und wie man es auch nannte: Gefährlich war ein solcher Satz allemal. Und besonders für mich.
Charles fühlte, wie ich zitterte, und zog mich noch fester an sich, als könne ich ihm davonlaufen. »Das ist eine verdammt ernste Angelegenheit. Und sie kommt verdammt schnell«, wandte ich ein.
»Zeit, was ist schon Zeit?«, sagte Charles todernst. Dann lächelte er. »Ich bin nun mal nicht so geduldig wie ein Stein. Und du bist unglaublich. Du bist genau das, was ich gesucht und gefunden habe.«
Ich legte ihm die Hände auf die Schultern, hielt ihn auf Abstand und sah ihm prüfend ins Gesicht. Mein Herz raste schon wieder. »Du machst mir angst, Charles Franklin. Es ist gar nicht nett, Leuten angst zu machen.«
Er entschuldigte sich, aber dachte nicht daran, seinen Griff zu lockern.
»Ich glaube, zum Heiraten bin ich noch gar nicht alt genug.«
»Ich erwarte ja auch nicht, dass du dich auf der Stelle entscheidest. Ich will dir nur sagen, dass ich anständige Absichten habe.« Er sprach das Wort ironisch aus, um ihm die spießige, steife Bedeutung zu nehmen, aber das nützte nichts. Anständig war ein Wort, das meinem Vater, vielleicht auch meiner Mutter etwas bedeuten mochte. Aber mir?!
Wieder fühlte ich mich verwirrt und hin- und hergerissen. Aber
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