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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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meine Sachen besonders sorgfältig aus dem Stapel frisch gewaschener Kleidungsstücke, der sich auf dem Bettvorleger türmte. Kritisch betrachtete ich mich erst im Spiegel, dann in einer Vid-Projektion und suchte in meinem Inneren wie Äußeren nach irgendwelchen Unzulänglichkeiten.
    Während der hundert Meter, die ich auf dem Weg zum Büro zurücklegen musste, versuchte ich, innerlich ruhig zu werden. Bewusst hatte ich die längere Strecke gewählt. Sie verlief jenseits des Zentraltunnels und führte durch die Ziergärten der Familie, in denen Blumen, Gemüse und kleine Bäume unter einer künstlichen Sonne wuchsen.
    Denker waren stets höflich, unendlich geduldig und liebenswürdig. Und auch klüger als Menschen und sehr viel schneller. Ich hatte noch nie mit Alice gesprochen, wusste aber, dass mein Onkel für die Prüfung seiner Praktikantin in spe spezielle Beurteilungskriterien ausgearbeitet und sie Alice vermittelt hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich gründlich und fair prüfen würde. Aber angesichts meiner Jugend und des Mangels an Erfahrung reichte schon ein letztes Quäntchen Zweifel aus, mich schrecklich nervös zu machen.
    Einige Minuten früher als vorgesehen stellte ich mich dem Vorsitzenden der Prüfungskommission vor. Er war ein unauffälliger Mann mittleren Alters, hatte ein asketisches Gesicht, hieß Peck und kam aus Jiddah. Ich hatte Peck schon bei den Vorbereitungen für mein Stipendium kennengelernt. Er wollte es mir möglichst leicht machen.
    »Alice ist heute schwer auf Draht und guter Laune«, sagte er. Das war ein kleiner Scherz: Denker zeigten keine Launen. Sie konnten gewisse Stimmungen zwar simulieren, wurden aber nie von ihnen beherrscht. Ganz anders als ich. Die Stimmung, die mich beherrschte, grenzte an Panik.
    Ich murmelte, ich sei bereit anzufangen. Peck lächelte, klopfte mir wie einem Kind auf die Schultern und öffnete die Tür zum Büro.
    Hier war ich noch nie gewesen. Der Raum war mit dunklem Rosenholz verkleidet, mit einem dicken, moosgrünen Teppich ausgelegt und wurde von Lampen erhellt, die freundlich aus ihren Messingfassungen strahlten.
    Im Zimmer befand sich ein junges Mädchen. Es hatte langes schwarzes Haar und trug ein weißes Kleid, das mit Rüschen besetzt war. Es war die Projektion von Alice. Sie saß hinter einem Schreibtisch aus Opal und hatte die Hände vor sich auf der polierten schwarzroten Steinplatte gefaltet. Alice war nach Alice Liddell benannt, die Lewis Carroll zu ›Alice im Wunderland‹ inspiriert hatte. Alice Liddells animiertes Ebenbild war die Lieblingsprojektion des Denkers. Das Bild flimmerte, woran zu sehen war, dass es sich um eine Simulation handelte. Dann stabilisierte es sich. »Guten Morgen«, sagte Alice mit der hellen Stimme einer jungen Frau.
    »Guten Morgen«, antwortete ich mit einem Lächeln. Mein Lächeln war genauso simuliert wie die ganze Alice.
    »Wir haben schon einmal miteinander zu tun gehabt, aber das hast du sicher vergessen.«
    »Ja«, gab ich zu.
    »Als du sechs Jahre alt warst, habe ich eine Reihe von LitVids aus Jiddah vorgeführt. Im Fach Geschichte. Du warst eine gute Schülerin.«
    »Danke.«
    »Seit einigen Monaten bereiten sich Bithras und die BG Majumdar auf eine Reise zur Erde vor, um dort mit verschiedenen Geschäftspartnern und Regierungsvertretern direkt zu verhandeln.«
    »Ja.« Ich hörte sehr genau hin und versuchte, mich mehr auf ihre Worte als auf ihr Bild zu konzentrieren.
    »Bithras wird zwei vielversprechende junge Menschen der Familie mit zur Erde nehmen, als Praktikanten, die ihm zuarbeiten. Die Praktikanten werden wichtige Aufgaben übernehmen. Bitte setz dich doch.«
    Ich nahm Platz.
    »Hast du mit meinem Erscheinungsbild irgendwelche Probleme?«
    »Nein, ich denke nicht.« Es war schon seltsam, einem jungen Mädchen gegenüberzusitzen, aber ich fand – oder rang mich dazu durch –, dass es mich nicht sonderlich störte. Ich würde lernen müssen, eng mit Denkern zusammenzuarbeiten.
    »Deine Ausbildung ist ideal für das, was Bithras in einem Praktikum verlangt. Du hast dich eindeutig für Staatslehre und Betriebswirtschaft entschieden und dich mit der Betriebswirtschaftslehre in Kulturen mit hoch entwickelter Kommunikations- und Informationstechnik befasst.«
    »Ich hab’s versucht«, sagte ich.
    »Du hast auch recht eingehend Sitten, Geschichte und Politik der Erde studiert. Was hältst du von der Erde?«
    »Sie ist faszinierend.«
    »Sagt sie dir zu?«
    »Ich träume von der Erde.

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