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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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mitgemacht?«, wollte ich wissen.
    Sie lachte. »Oft genug. Jeder Denker muss sich in regelmäßigen Abständen der Analyse und Therapie unterziehen. Und du?«
    »Noch nie. Anscheinend habe ich keine destruktiven Macken. Darf ich jetzt dir eine Frage stellen?«
    »Natürlich.«
    Ich entspannte mich allmählich. Falls ich Alices Ansprüchen nicht genügte, ließ sie es mich jedenfalls nicht merken. »Wenn die Erde wirklich so fähig und gesund ist, warum übt sie dann so großen Druck auf den Mars aus? Verbessert die Therapie denn nicht auch das Verhandlungsgeschick?«
    »Therapie trägt zum besseren Verständnis von anderen Menschen und Organisationen bei. Trotzdem muss man sich Ziele setzen und Urteile fällen.«
    »Also gut.« Ich merkte, dass ich Streitlust entwickelte. »Nehmen wir mal an, dass wir beide von den selben Tatsachen ausgehen, sie aber unterschiedlich interpretieren.«
    »Haben wir gemeinsame Ziele?«
    »Nein. Nehmen wir außerdem an, dass wir auch unterschiedliche Ziele verfolgen. Warum können wir unsere Mittel dann nicht einfach in einen gemeinsamen Topf werfen und einen Kompromiss schließen? Oder, falls das unmöglich ist, einander einfach in Ruhe lassen?«
    »Das wäre vielleicht möglich, so lange die Ziele nicht unvereinbar sind.«
    »Die Erde übt Druck auf den Mars aus, vielleicht steht eine Auseinandersetzung bevor. Das bedeutet, dass wir uns mitten in einem Spiel befinden, bei dem es nur einen Gewinner gibt. Der Sieger bekommt alles.«
    »Das ist eine Möglichkeit, ein Spiel, bei dem es um alles oder nichts geht. Aber das ist nicht die einzige Spielart, bei der es zum Konflikt kommen kann.«
    Ich rümpfte skeptisch die Nase. »Das verstehe ich nicht«, sagte ich und meinte eigentlich: Da bin ich anderer Meinung.
    »Lässt du eine hypothetische Situation zu?«
    »Fahr nur fort.«
    »Ich werde das Konfliktmodell Erde-Mars darstellen, ohne die höhere Mathematik heranzuziehen.«
    »Ich werde das Gefühl nicht los, dass du dieses Konfliktmodell schon auf weitaus höherer Ebene durchgespielt hast …«
    »Ja«, antwortete Alice.
    Ich lachte. »Dann bin ich deiner Meinung nach dafür wohl zu dumm.«
    »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Hast du auch nicht«, sagte ich. »Ich frage mich nur, warum ich überhaupt mit dir diskutieren soll.«
    »Weil du dich mit deinem jetzigen Stand in der Diskussion nie und nimmer abfinden wirst.«
    »Wie bitte?«
    »Du wirst und darfst nie den Versuch aufgeben, dazuzulernen. Aus meiner Sicht bist du eine ideale menschliche Diskussionspartnerin, weil du mir gegenüber nicht mauerst. Andere tun’s.«
    »Mauert Bithras dir gegenüber?«
    »Nein, obwohl ich ihn manchmal schon zur Weißglut gebracht habe.«
    »Dann fahr fort«, sagte ich. Wenn Bithras so etwas verkraftet, dann verkrafte ich es auch.
    Mit Worten und graphischen Projektionen beschrieb Alice eine Erde, auf der sich bei Volksentscheiden über Einzelfragen die Zustimmungsquote inzwischen rasch auf die Neunzig-Prozentmarke zubewegte. Für die meisten individuellen Ziele fand man einen gemeinsamen Nenner. Der Kommunikationsfluss gewährte den einzelnen Menschen gleiche Zugangsmöglichkeit zu Schlüsselinformationen. Menschen betrachtete man mittlerweile als Einheiten innerhalb eines größeren denkenden Organismus. Einerseits wurden die Individuen integriert – bei gemeinsamen Problemen einigten sie sich schnell auf eine gemeinsame Lösung –, andererseits waren sie autonom und akzeptierten die Meinungsvielfalt.
    Ich wollte schon fragen: Welche Meinungsvielfalt? Sie haben doch alle dieselbe Meinung! Aber Alice verfügte natürlich über höhere mathematische Definitionen, und diese Worte waren nur Annäherungen daran. Bestimmt verteidigte man auf der Erde das Recht, anderer Meinung zu sein, vor dem Hintergrund, dass ja auch eine integrierte und informierte Gesellschaft Fehler machen konnte. Allerdings würden vernünftige Menschen wohl lieber direkte und nicht so verschlungene Lösungswege suchen. Als Marsbewohnerin wehrte ich mich heftig gegen diese Praxis auf der Erde. »Hört sich nach politischer Unterdrückung an, wie in einem Bienenstock«, sagte ich.
    »Mag sein, aber denk daran, dass wir hier das Modell einer Informationsgesellschaft skizzieren. Das bedeutet Vielfalt und Autonomie innerhalb einer politischen Einheit.«
    »Kleinere Regierungen können besser auf einzelne Menschen eingehen. Wenn alle eine Einheit bilden und man selbst mit dem Status quo nicht einverstanden ist, aber nicht in

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