Heimat Mars: Roman (German Edition)
konservativ, nehme ich an.«
Sie streckte ihre langen Arme und Beine aus und griff mit unbewusster Anmut nach den Haltegriffen im Ausguck. »Auf dem Schiff reizt mich niemand. Und was ist mit dir?«
»Nein, niemand«, pflichtete ich ihr bei.
»Hast du schon viele Partner gehabt?«
»Du meinst Geliebte?«
Sie lächelte weise, altklug. »Das ist ein schönes Wort. Aber es passt nicht immer, oder?«
»Ich habe einige gehabt«, antwortete ich knapp und hoffte, sie würde den Wink verstehen und nicht weiter nachhaken.
»Meine Eltern haben am frühen Partnerprogramm teilgenommen. Ich hab seit dem zehnten Lebensjahr Partner gehabt. Findest du das zu früh?«
Ich ließ mir nicht anmerken, wie schockiert ich war. Ich hatte von frühen Partnerschaften schon gehört, aber auf dem Mars hatten sie sich ganz gewiss nicht verbreitet. »Wir sind der Auffassung, dass man Kindern die Kindheit lassen sollte«, sagte ich.
»Glaub mir«, entgegnete Orianna. »Ich war schon seit dem sechsten Lebensjahr kein Kind mehr. Stört dich das?«
»Du hattest schon mit zehn Erdenjahren den ersten Sex?« Dieses Gespräch wurde mir zunehmend peinlich.
»Nein! Physischen Sex hab ich überhaupt noch nie gehabt.«
»Simulationen?«, fragte ich schüchtern.
»Manchmal. Partnerschaft … Oh, ich merke, ich bringe dich völlig durcheinander. Mit Partnerschaft meine ich die enge geistige Gemeinschaft, in der man so viel Spaß miteinander teilen kann. Ich mag Simulationen eines ganz anderen Lebens. Zwei verschiedene hab ich schon ausprobiert. Das erweitert den Horizont. Deshalb weiß ich natürlich auch alles über Sex. Selbst über Sex, der in physischer Hinsicht so gar nicht stattfinden kann. Sex zwischen vierdimensionalen menschlichen Formen.« Plötzlich sah sie traurig aus. Und sie hatte eine so starke charismatische Ausstrahlung, dass ich mich sofort bei ihr entschuldigen wollte und alles getan hätte, um sie wieder froh zu machen. Mein Gott, dachte ich. Ein Planet mit lauter solchen Leuten.
»Ich hab noch nie eine geistige Gemeinschaft geteilt«, sagte ich.
»Ich würde sie liebend gern mit dir bilden.« Das Angebot war so entwaffnend, dass es mir die Sprache verschlug. »Du hast eine echte, natürliche Ausstrahlung«, fuhr Orianna fort. »Ich glaube, du wärst eine tolle Partnerin. Ich hab dich seit Anfang der Reise beobachtet …« Sie kniff die Lippen zusammen und zog sich zur Wand zurück. »Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich.«
»Nein«, beruhigte ich sie.
Sie streckte die Hand aus, berührte meine Wange und strich einmal mit der Rückseite ihrer Finger darüber. »Willst du meine Partnerin sein?«
Mir schoss die Röte ins Gesicht. »Ich mache keine … Simulationen mit«, antwortete ich.
»Dann führen wir einfach nur Gespräche. Während der Reise. Und wenn wir auf der Erde angekommen sind, kann ich dir einige Dinge zeigen, die dir sonst wahrscheinlich entgehen würden … als Touristin vom Mars. Du kannst meine Freundinnen und Freunde kennenlernen. Das würde uns allen Spaß machen.«
»Einverstanden«, sagte ich. Falls Oriannas Angebot mehr umfasste, als ich verkraften konnte und wollte, würde ich mich, wie ich hoffte, immer noch auf ein interkulturelles Missverständnis herausreden können. Und dann den Rückzug antreten.
»Die Erde ist wirklich toll«, sagte Orianna mit herrlich schmachtendem Blick. »Das weiß ich erst recht, seit ich auf dem Mars gewesen bin.«
Seit drei Wochen waren wir unterwegs. Inzwischen hatten wir fast schon die Zehn-Millionen-Kilometer-Grenze erreicht. Bald würde man den Fusionsantrieb zünden. Wenn der erst einmal aktiviert war, konnte man sich im Rumpf nicht mehr aufhalten.
Nach einer wirklich großen Party, die eines der besten Banketts der Reise bot, verabschiedete sich der Kapitän von uns und wechselte zum gegenüberliegenden Zylinder hinüber. Die dort untergebrachten Passagiere würden uns nicht mehr besuchen können. Ehe sie dem Kapitän folgten, verabschiedeten wir uns mit einem Händeschütteln.
Die meisten Passagiere unseres Zylinders zogen sich in ihre Kabinen zurück und gingen zu Bett, um die Veränderung leichter zu verkraften. Nur ein paar Hartgesottene blieben wie ich in der Lounge. Wieder fand der obligatorische Countdown statt. Mir war das touristische Verhalten zwar zuwider, aber ich zählte mit. Acre war so nett und gab sich so viel Mühe, dass man ihm einfach keinen Strich durch die Rechnung machen durfte.
Inzwischen waren wir wieder schwerelos, würden aber
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