Heimat Mars: Roman (German Edition)
hatte. Bewundernswert.
»Es tut mir leid, dass eure Beziehung nicht länger gehalten hat«, sagte Bithras. »Warum hast du mit ihm Schluss gemacht?«
Der Übergang zum persönlichen Aushorchen vollzog sich so unmerklich (Bithras’ Tonfall hatte sich kaum verändert), dass ich mich davon fast hätte einwickeln lassen. Eine Antwort lag mir schon auf der Zunge. Statt dessen lächelte ich, machte eine vage Handbewegung, zog die Augenbrauen hoch und zuckte die Achseln: C’est la vie.
»Hast du schon viele Erfahrungen mit hochbegabten Männern gemacht?«
»Nein«, antwortete ich.
»Hast du überhaupt schon viele Erfahrungen mit Männern gemacht?«
Ich behielt mein Lächeln bei und sagte nichts. Bithras sah mich aufmerksam an. »Ich habe festgestellt, dass junge Frauen das meiste, was sie über Männer wissen, in den ersten fünf Jahren ihres Liebeslebens erfahren. Das ist eine ganz entscheidende Zeit. Ich tippe darauf, dass du dich noch innerhalb dieser Fünfjahresperiode befindest. Es wäre jammerschade, wenn du deine Fortbildung vernachlässigst. Und ein Raumschiff bietet leider nur begrenzte Möglichkeiten.«
Jetzt kommt’s.
»Falls dir noch etwas zu Charles Franklin einfällt, lass es mich bitte wissen. Ich sehe mich leider gezwungen, mich in die neuere Physik einzuarbeiten, und ich bin kein besonders guter Mathematiker. Ich hoffe, dass sich Alice als gute Lehrerin erweist.«
Er bedankte sich bei mir und öffnete die Kabinentür. Im Gang begegnete ich Acre, der dort irgend etwas erledigte, murmelte »Hallo« und ging zum Gymnastikraum. Dort schwitzte ich in Gesellschaft von vier ebenfalls schwitzenden Männern (alle im Alter von Bithras) meinen Zorn und Kummer eine Stunde lang aus.
Charles hatte geheiratet. Jetzt hatte er den Anker, den er sich gewünscht hatte. Er war auf dem besten Weg, auf Erde und Mars eine wichtige Rolle zu spielen – wenn auch nicht mehr bei mir. Schön für ihn.
Orianna ähnelte einer starken Flamme, die von heftigen Winden angefacht wird. Nie konnte ich vorhersagen, aus welcher Richtung diese Winde blasen würden, welche Stimmung die Oberhand gewinnen würde. Allerdings sah ich sie nie missmutig, resigniert oder auch nur voreingenommen. Wenn sie mir ihre Aufmerksamkeit zuwandte, mir zuhörte oder mich nur ansah, wusste ich, wie sich eine von Menschen beobachtete Katze fühlen muss …
Orianna war eigentlich nicht klüger als ich. Allerdings war es schon faszinierend zu sehen, wie schnell sie Zugang zu Informationen jeglicher Art hatte. Und wie sie unbekümmert Fähigkeiten nutzte, die sie sich weder erarbeitet noch durch Geburt erworben, sondern schlicht erkauft hatte. Was ihr fehlte, war das, was auch mir fehlte. Alle Herrlichkeit auf Erden konnte ihr eines nicht vermitteln – ebensowenig wie mir: Erfahrung. Erfahrung, die tief in Leib und Seele wurzelt. Ihre Fähigkeiten mochten erweitert, ihre Ausbildung hervorragend sein: All das konnte ihr keine Überzeugung vermitteln, an der sie mit Leidenschaft hing. Und auch keine echte Lebensorientierung.
Wenn wir uns unterhielten oder die vom Teleskop übertragenen Bilder in unseren Kabinen auf uns wirken ließen, wenn wir uns gemeinsam LitVids ansahen, in der Lounge bei Spielen amüsierten, auf dem Aussichtsdeck die Sterne an uns vorbeiziehen ließen …, dann hielt mir Orianna den Spiegel meiner eigenen jüngsten Vergangenheit vor. Durch sie erfuhr ich eine Menge über die Erde, aber vielleicht sogar noch mehr über mich selbst. Durch sie sah ich deutlicher, welcher Weg noch vor mir lag. Allerdings zögerte ich immer noch, mich mit Orianna bei einer Simulation zu verbinden. Und immer noch versuchte sie, mich dazu zu überreden.
»Ich hab ein paar lebensechte Simulationen von außen durch den Zoll der Erde geschmuggelt. Meinen Eltern hab ich nichts davon erzählt«, sagte sie mir am Jillstag, dem 30. Dezember. Wir waren seit fünf Monaten unterwegs und hatten gerade das bisher anstrengendste Gymnastikprogramm der Reise absolviert: drei Stunden in Magnetanzügen im Trainingsraum. In Feldern, die die volle Schwerkraft der Erde simulierten, hatten wir auf der Stelle getreten. »Du sagst es doch nicht weiter?«
»Ist es denn gesetzlich verboten?«
»Na ja, eigentlich nicht. Aber die Firmen, die so was herstellen, sind ziemlich auf ihre Urheberrechte bedacht. Wenn sie’s merken würden, könnte es passieren, dass sie mich aus ihrer Kundendatei löschen. Sie wollen nicht, dass außerhalb der Erde irgendwelche Kopien
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