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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hell erleuchteten Schlund der Essensausgabe und servierte mir ausgezeichnete Nano-Speisen. Sie schmeckten viel besser als alles, was der Mars bot.
    Orianna hielt sich in ihrer Kabine auf und hatte sich in eine Simulation vertieft. Wir hatten uns für später verabredet. Ich saß neben Allen an der Außenseite eines runden Tisches. Auf der Innenseite uns gegenüber saßen Oriannas Eltern. Ihre Mutter, Renna Iskandera, eine große, stattliche Äthiopierin, trug ein lose fallendes Baumwollkleid mit einem Karomuster in grellen Orange-, dunklen Rot- und Brauntönen. Ihr Mann, Paul Frontiere, gebürtiger Franzose und Bürger des EUROCON, hatte einen maßgeschneiderten graugrünen Raumanzug an, der an Taille und Hüften locker fiel, an Hand- und Fußgelenken jedoch eng anlag. Allen war bereits in ein Gespräch mit Renna und Paul vertieft. Ich saß daneben und hörte aufmerksam zu.
    »Ich glaube«, sagte Allen gerade, »die Erde und ihre Sitten erschrecken uns ein bisschen. So viele Menschen, so viele Kulturen, so viele Modeströmungen … Je mehr ich erfahre, desto mehr verwirrt mich das alles.«
    »Lernt man denn als Marsianer in der Schule nichts über die Heimatwelt?«, fragte Renna. »Ich meine, um sich zum Beispiel auf Reisen wie diese vorzubereiten.«
    »Doch, natürlich«, antwortete Allen. »Aber die Marsianer sind weitgehend mit sich selbst beschäftigt.« Er warf mir einen Blick zu. Bei diesem Witz für Eingeweihte legten sich Lachfältchen um seine Augen.
    »Auf der Erde«, bemerkte Paul, »sind wir stolz darauf, dass wir den Wandel akzeptieren und trotz der Vielfalt eine Einheit bilden. Die Marsianer scheinen stolz auf ein gemeinsames Erbe zu sein.« Ich beschloss, die Herausforderung anzunehmen. Selbstverständlich nicht deshalb, weil mich der unterschwellige Vorwurf der Provinzialität gejuckt hätte. Nein, nur deswegen, weil ich mich um ein besseres Verständnis der Erdenbürger bemühen wollte. »Uns allen hat man beigebracht, dass die Erde in politischer Hinsicht ruhiger und stabiler ist als je zuvor.«
    »Das stimmt«, sagte Paul und nickte.
    »Aber es gibt so viel Streit, so viele Meinungsverschiedenheiten.«
    Renna lachte, ein helles, wunderbares, melodisches, fröhliches Lachen. Sie war doppelt so alt wie ich, wirkte aber viel jünger. Sie hätte gut und gern als Schwester ihrer eigenen Tochter durchgehen können. »Wir haben Spaß daran«, sagte sie. »Wir sind stolz darauf, dass wir einander anschreien können.«
    »Sie meinen, das alles ist nur Fassade?«, fragte Allen.
    »Nein, über viele Dinge haben wir wirklich unterschiedliche Ansichten. Aber deswegen bringen wir einander nicht gleich um. Sie haben doch bestimmt die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts durchgenommen?«
    »Klar«, antwortete ich. »Selbstverständlich.«
    »Das blutigste Jahrhundert in der ganzen Geschichte der Menschheit. Ein Albtraum – fast von Anfang bis Ende ein einziger langer Krieg. Ein Tollhaus, in dem jede nur denkbare Tyrannei herrschte. Selbst am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts führten die heftigen Emotionen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionen oder auch nur Regionen noch zu Mord und Repressalien von entsetzlichem Ausmaß. Allerdings war es auch das Jahrhundert, in dem sich mehr Menschen als je zuvor von überlieferten Machtstrukturen befreiten, ihrer Skepsis Ausdruck verliehen, ihre Illusionen über Bord warfen, verzweifelten – aber auch Reife entwickelten.«
    Ich runzelte die Stirn. »Aufgrund ihrer Verzweiflung entwickelten sie Reife?«
    »Sie entwickelten Reife, weil ihnen gar nichts anderes übrig blieb. Man konnte nicht so weitermachen wie bisher – das konnte sich niemand leisten. Die Zerstörung brachte nichts mehr. Niemandem. Der große Gott Mammon wurde zum Friedensgott. Und das war der Zeitpunkt, an dem wir unseren Blick nach außen wandten und die Grundlagen für die Besiedlung von Mond, Mars und den kleinen Welten da draußen legten. Die Menschen hatten endlich besseren Durchblick.«
    »Aber ihr streitet euch doch immer noch«, sagte ich und biss mir leicht auf die Lippe. Ich wollte damit den Eindruck erwecken, dass ich ganz offensichtlich naiv war. Bithras brachte mir gerade die Kunst des Kiebitzens bei und die Taktik, Verwirrung oder Schwäche zum eigenen Vorteil vorzutäuschen.
    »Ich will natürlich nicht für jeden auf der Erde sprechen«, betonte Paul und lachte. »Dass man sich streitet, heißt ja nicht, dass man sich hasst – wenn man ein bisschen

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