Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
Vom Netzwerk:
unbekannte Bürger ihr Geschlechtsleben, im Detail und vor einem Millionenpublikum. Die Medien stürzen sich auf Extreme, zum Beispiel einen öffentlichen Wettbewerb in den USA, in dem es darum ging, mit wie vielen Männern eine Frau an einem Tag schlafen kann. Reichlich anstrengend für alle Beteiligten.
    Nackt ist angezogen!
    Neuguinea ist eine der größten Inseln der Welt. Ein Teil davon, Irian Jaya, gehört zu Indonesien und liegt nur drei Flugstunden von Ujung Pandang entfernt. Keine besondere Entfernung in einem Land, das fast kontinentale Ausmaße hat. Auf die Karte Europas gelegt, reicht Indonesien von London bis Kiew und von Neapel bis Köln. Die Bewohner Neuguineas leben in der Regel im tropischen Wald, sie jagen, sammeln und betreiben Hackbau. Über die Eipo, eine ethnische Gruppe auf der waldreichen Insel, ist gerade ein Buch erschienen, und ich soll eine Besprechung für eine Fachzeitschrift schreiben. Also liegt es öfters in unserem Zimmer herum. Der von Verhaltensforschern verfasste Band beschreibt Kommunikation und Körpersprache und enthält entsprechend viele Fotos der dort lebenden Menschen.
    Die Eipo sind, wenn nicht Missionare oder Textilhändler etwas dagegen getan haben, meist so gut wie nackt. Kleidung brauchen sie praktisch nicht. Die Frauen tragen nur Baströcke und die Männer einen Gürtel aus Pflanzenfasern und eine »Peniskalebasse«. Einige dieser Köcher sind fast einen Meter lang und mit einer Schnur am Gürtel befestigt. Beim Laufen muss man sie mit der Hand halten. Praktisch sind sie also nicht unbedingt. Im Buch lese ich: »Bei ausgeprägter Erektion muss der Penisköcher jedenfalls zurechtgerückt oder abgenommen werden.« Verhalten sich die Eipo widersprüchlich? Einerseits wird der Penis verborgen, andererseits weist der Köcher besonders auffällig auf ihn hin. Der ganze Aufwand wird im Forschungsbericht dann auch als »ständiges phallisches Imponieren« gedeutet. Von außen sieht das alles sehr sexualisiert aus, aber die Eipo selbst würden sich nicht als nackt bezeichnen. Sie sind oft bemalt oder tätowiert, und sie tragen Nasenringe, Nasenstäbe und Lippenpflöcke. Außerdem zeigen die Männer ihren Penis nie ganz unverhüllt. Insbesondere die Eichel darf niemals zu sehen sein. Trotz aller Vertrautheit mit den Menschen haben die Forscher das Anlegen und Ablegen der Peniskalebasse kaum je einmal mitbekommen.
    Ibu, die Familienmutter, und Pak, ihr Mann, haben das Buch wohl schon öfter bei mir liegen gesehen. Heute haben die beiden es aufgeschlagen gefunden und blättern darin. Als sie auf Fotos der dunkelhäutigen und zudem unbekleideten Menschen aus Irian Jaya stoßen, ist ihre Reaktion eindeutig: »Das sind Tiere.« Ibu meint: »Sie sind fast wie Affen.« Ich mache eine fragende Miene, ohne zu kommentieren, und sie fährt fort: »Sie sind dumm, dumm, weil sie keine Kleidung tragen. Warum tragen sie nur keine Kleidung? Außerdem haben sie eine so dunkle Haut.« Schwarze Hautfarbe findet sie »nicht gut«; sie sähe schlecht aus, ja »schmutzig«. Weiße seien schön und »sauber«, weil sie eine so »helle« und »feine« Haut haben. Die Penisköcher, die auf den nächsten Fotos zu sehen sind, quittieren sie nur noch mit einem gequälten Lächeln. Das setzt dem Ganzen ja wohl die Krone auf. Beide zeigen deutliche Ablehnung, ja geradezu Abscheu. Ich unternehme anfangs noch einen Erklärungsversuch: »Sie leben im Wald. Es ist dort oft noch heißer und feuchter als hier.« Bald breche ich ab. Es ist sinnlos. Das meinen wohl auch Pak und Ibu und legen das Buch weg. Zum Glück können sie den deutschen Text nicht lesen und erfahren nicht, dass es bei den Eipo einen spielerischen Umgang mit Homosexualität gibt …
    Mich irritiert zunächst die Schärfe ihres Vorurteils und der zum Ausdruck kommende Rassismus. Es handelt sich immerhin um Menschen im eigenen Land. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass die Eipo in einem anderen Kosmos leben. Der westliche Teil Neuguineas wurde erst vor kurzem annektiert, und die Lebensweise der Menschen dort hat wenig mit dem restlichen Indonesien zu tun. Während typische Indonesier Reisbauern sind und einer komplexen Gesellschaft angehören, leben die Eipo und ihre Nachbarn in der Steinzeit, jedenfalls aus der Sicht von Ibu und Pak. Der Kontrast zwischen den Eipo und ihnen könnte kaum größer sein.
    Indonesien ist ein Land mit Hunderten von Völkern, aber dominiert wird der Staat von einer Kultur, den Javanern. Das javanische

Weitere Kostenlose Bücher