Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
gefallen. Die Leute sind freundlich und für indonesische Verhältnisse lebhaft und direkt. Keine schlechte Voraussetzung, wenn man etwas über ihr Leben und Denken erfahren möchte.
Denn mich interessiert, wie die Menschen hier denken und im alltäglichen Leben entscheiden. Ich will Daten für eine Untersuchung über Alltagsrationalität sammeln. Um das reichlich abstrakte Thema konkret zu machen, versuche ich herauszufinden, was die Menschen bei einem Umzug innerhalb der Stadt überlegen und tun. Schon bei meinen früheren Reisen war mir aufgefallen, wie häufig Indonesier umziehen. Mich hatte erstaunt, wie plötzlich sie das tun und wie normal das für sie zu sein scheint. Mit den Erkenntnissen aus Ujung Pandang möchte ich ein umfangreiches wissenschaftliches Werk schreiben und damit habilitieren. Das ist die Voraussetzung für eine Karriere an der Uni. Denn ich träume davon, einmal Ethnologieprofessor zu werden. Auf dem Buch wird dann als Titel so etwas stehen wie »Dynamiken intra-urbaner Residenzmobilität« oder »Rationales Wahlhandeln in Indonesien«. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht.
Aus Fehlern lernen
Ethnologen wollen direkt bei den Menschen leben, sie wohnen nicht in Hotels, sondern in der Hütte. Also habe ich – zusammen mit meiner Frau und unserem sieben Monate alten Sohn – bei einer indonesischen Familie Unterkunft gefunden. Es ist zwar keine Hütte, aber ein einfaches Steinhaus. Durch einen Kollegen, der auch schon hier gewohnt hat, habe ich die Familie kennengelernt: Ibu, die Mutter, Pak, ihren Mann, und ihre vier Kinder. Ich bin noch ganz am Anfang, und wir müssen uns erst einleben. Ein Prinzip von Feldforschung ist es, aus eigenen Fehlern zu lernen. Das geht auch gleich los. Schon am vierten Tag werde ich das erste Mal so richtig zusammengestaucht.
Wir sind hier in den Tropen, es ist feucht und brüllend heiß. In den ersten Nächten legen wir uns ohne jede Bedeckung auf unsere Holzpritsche und schwimmen trotzdem nach wenigen Minuten im eigenen Schweiß. Unser Kleiner ist wieder zehn Mal in der Nacht aufgewacht. Meine Frau ist froh, dass ich ihn um sechs auf den Arm nehme und mit ihm durchs Viertel ziehe. Hier stehe ich gern früh auf, denn morgens ist es noch eine Weile frisch. Schon gegen acht Uhr wird es sehr heiß. Und morgens stehen die Türen der Häuser und Hütten offen, ich lerne schnell viele Leute kennen. Ich erkläre, dass ich von weit her komme, aus dem Land Beckenbauers, weil mich ihr Leben interessiert. Sie sind begeistert von dem dicken weißen Baby auf meinem Arm und wollen den Kleinen sofort herumtragen. Als ich zurück in unser Haus komme, ist es zehn Uhr. Ich bin seit vier Stunden auf den Beinen und komplett durchgeschwitzt.
Also gehe ich von unserer 2,5 mal 3 Meter messenden Schlafkammer durch den Wohnraum zum kleinen Bad, um mich mit Wasser zu übergießen. In Indonesien gibt es üblicherweise keine Dusche. Stattdessen steht in jedem Bad ein kleines Bassin, dass immer mit kaltem Wasser gefüllt ist. Mit einer Plastikkelle schüttet man sich das kalte Wasser über den Körper. Das ist viel erfrischender als eine Dusche: herrlich! Ich habe Shampoo und eine Taschenlampe dabei – im fensterlosen Bad gibt es nur eine 25-Watt-Funzel. Und ich habe mich bis zum Oberkörper in einen einheimischen Sarong gehüllt. Wir sind schließlich in einem islamisch geprägten Land. Von früheren Reisen weiß ich, dass man hier besonders darauf achtet, sich nicht zu entblößen.
Als ich aus der Dusche zurück bin und mich angezogen habe, kommt Ibu, unsere Familienmutter, ins Zimmer und hält mir eine Gardinenpredigt: »Christoph, du musst dich bedecken. Alles andere ist unpassend.« Ich stutze und sage, dass ich mich doch mit dem Sarong bedeckt habe. Ich denke, dass ich mich schließlich auskenne und alles richtig machen will. Da erklärt sie mir, dass unbedingt auch meine Schultern bedeckt sein müssten. »Das ist hier so. Es sind doch schließlich auch Frauen im Haus.« Sie meint sich und ihre beiden Töchter, Ita, 5, und Bebia, 7.
Indonesien ist das größte islamische Land der Welt. Jedes Dorf hat mehrere Moscheen. Hier leben über 230 Millionen Menschen, über 90 Prozent von ihnen Muslime. So weit die nackten Zahlen. Die Wirklichkeit des Lebens sieht etwas anders aus. Die Moscheen sind nur am Freitag, dem islamischen Sonntag, wirklich voll. Die meisten Menschen kennen Teile des Korans, glauben aber daneben
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