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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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Deutschen in diesem Leben nie begegnen werde, soll ich sie mir als Familie denken, wo jeder jeden kennt: die imaginierte Gemeinschaft.
    Hier bin ich Mensch
    Als wir 1990 für ein Jahr nach Indonesien gegangen sind, stand unsere Kölner Wohnung leer. Nach den üblichen Kulturschocks am Anfang haben wir uns in der Fremde schnell eingefunden. Uns fehlten natürlich die Freunde zu Hause. Häufig fehlte uns aber auch nur ein kräftiges Vollkornbrot statt ewigem Reis und Weißbrot. Köln als Stadt haben wir gar nicht so oft vermisst; es gab so viel Neues. Als wir zurückkamen, mussten wir uns allerdings erst wieder eingewöhnen. Wir erlebten den »Reentry-Kulturschock«. Als fleißiger Ethnologiestudent hatte ich davon in Methodenbüchern gelesen, es aber eher für Völkerkundlerlatein gehalten. Nun erfuhr ich es am eigenen Leib: Alles in Deutschland ging so schnell. Keiner hatte Zeit. Man musste sich verabreden, statt einfach unangekündigt jemanden zu besuchen. Und unsere vielen Erlebnisse konnten wir gar nicht in Ruhe ausbreiten.
    Erstaunlicherweise vermissten wir Köln jedoch massiv, als wir nach Trier umgezogen waren. Wir erlitten oft regelrechte Attacken von »Köln-Entzug«. Uns fehlte in Trier der direkte und etwas respektlose Umgang. In Köln verwickeln einen ständig wildfremde Leute in ein Gespräch: »Gucken Se mal die renovierte Kirchturmspitze da oben. Ist doch Mist, nich wahr!?« Oder der Nebenmann in der Kassenschlange beim Discounter fragt: »Wat ham Se denn da jekauft?« So etwas passiert einem in Trier definitiv nicht. Also haben wir an vielen Wochenenden viel Zeit in langsamen Zügen nach Köln verbracht, um dort einige Stunden vertrautes Leben zu tanken.
    Als wir nach sieben Jahren wieder nach Köln zurückziehen, sind wir über Wochen und Monate aufgekratzt. Wir finden einfach alles toll in Sülz, »unserem Viertel«. Mir fällt in den ersten Wochen auf, wie viel sich in der Stadt geändert hat, dass aber auch so vieles gleich geblieben ist. Noch jetzt erkenne ich Details an Fahrradwegen, zum Beispiel Risse im Asphalt oder Schwellen, die ich schon früher umfahren habe. Ich komme an einem Kiosk vorbei, an dem noch dieselben Leute herumhängen wie vor Jahren. Als ich bei Merzenich eins der Käsecroissants kaufen will, die mir in Trier immer gefehlt haben, schaut mich die Kassiererin an und fragt: »Kenne mer uns nisch?« Diese Wiederkehr ganz spezifischer Merkmale und Erlebnisse an besonderen Orten ist wohl das, was Heimat ausmacht. Aber: Braucht man das? Braucht jeder Mensch Heimat, und heißt das auch zwangsläufig Abgrenzung gegen andere?
    Wir-Gefühl
    Im idealtypischen Fall sind Ethnien Menschengruppen, die einen Namen haben, zum Beispiel »Tuareg« oder »Sinti«. Sie sprechen eine eigene Sprache und haben eine bestimmte Lebensform. In der Regel glauben die Menschen einer solchen Ethnie an einen bestimmten Gründungsmythos, und meist bilden sie auch eine Fortpflanzungseinheit. Auf Traditionen und Glauben baut das Wir-Bewusstsein ihrer Mitglieder auf. Entgegen dem verbreiteten Klischee der »Urvölker« und »Stämme in Afrika« sind ethnische Gruppen aber keine festen Gebilde. Sie wandeln sich ständig, auch ohne Außenkontakt. Schon der Versuch der frühen Ethnologie, solche Gruppen auf »Stammeskarten« zu verorten, war allzu vereinfacht. Ethnien gehen in größeren Gruppen auf, aber es entstehen auch ständig neue ethnische Einheiten. Einen kulturellen Stillstand gibt es in der Regel nur für kurze Zeit. Kulturelle Kontinuität ist nicht naturgegebene »Tradition«, sondern wird durch Weitergabe, durch »Tradierung« immer neu hergestellt. Nach dieser Definition könnte auch eine Gruppe Londoner Börsenbroker als Ethnie aufgefasst werden. Allerdings nur, wenn sie auch ihre Freizeit zusammen verbringen, untereinander heiraten und ein starkes Wir-Gefühl ausbilden.
    Kulturen sind keine geschlossenen Kugeln. Sie sind einander prinzipiell zugänglich und beeinflussen sich gegenseitig. Faktisch sind Unterschiede zwischen Kulturen zumeist geringer und die Grenzen zwischen ihnen weniger scharf, als es den Menschen erscheint, die ihnen angehören. Woran liegt das? Wenn Kulturen einander begegnen, stellen sie sich oft sehr reduziert dar. So steht dann eine Glaubensmaxime oder ein Nahrungsverbot für die ganze Kultur, nach dem Motto: »Wir sind Japaner, also essen wir Reis«, »Ich bin Hindu, also bin ich Inder«. Die ganze Komplexität einer Gesellschaft wird ausgeblendet. Selbstverständlich sind nicht

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