Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
alle Inder Hindus und nicht alle Hindus Inder. Vor allem gibt es noch sehr vieles andere, was Inder ausmacht. Ethnologen würden sagen, dass es so etwas wie »die indische Kultur« kaum gibt, sondern Hunderte von Sprachen und Kulturen in Indien. Allein die Geldscheine des Landes tragen 13 verschiedene Schriften!
Bei der interkulturellen Begegnung kommt ein weiteres Problem hinzu: Einzelne Personen werden nur noch als Mitglied ihrer jeweiligen Gruppe wahrgenommen. Das passiert, wenn ein Mensch, der seine Wurzeln in der Türkei hat, in Deutschland immer zuerst als Türke gesehen wird. Er selbst fühlt sich vielleicht gar nicht primär als Türke, oder jedenfalls nicht immer. Andere Anker seiner Identität könnten ihm viel wichtiger sein. Er ist vor allem ein Mann. Und er ist Anhänger des FC St. Pauli. Und dann ist er noch Kurde und eben gerade nicht ein Türke. Im interkulturellen Umgang wird der Mensch also wichtiger Eigenschaften beraubt. Er verschwindet unter dem Hut seiner Kultur. Stattdessen werden ihm andere Merkmale angedichtet, die er gar nicht hat, etwa weil er gegenüber anderen Landsleuten »untypisch« ist. Im Islam herrscht Alkoholverbot. Aber in Köln trinken ziemlich viele Türken ziemlich viel Kölsch!
In der Wahrnehmung der Mitglieder einer Kultur führt die Betonung kultureller Grenzen zu einer systematischen Kontrastverstärkung zwischen der eigenen und der fremden Kultur. Die Unterschiede zu anderen werden überbetont, die eigene interne Vielfalt wird unterschätzt. Ethnologen wissen dagegen, dass die tatsächlichen Unterschiede zwischen Personen innerhalb einer Kultur oft größer sind als der Abstand zwischen Individuen, die verschiedenen Kulturen angehören. So kann ich als Uni-Professor einen indonesischen oder japanischen Kollegen, seinen Alltag und seine Werte vielleicht leichter verstehen als das Leben meiner Nachbarn in Köln.
Etliche Befunde der Ethnologie zur Ethnizität erscheinen nicht auf den ersten Blick plausibel. Die wissenschaftlichen Ergebnisse widersprechen unserer Intuition: So bilden sich kulturelle Grenzen gerade nicht durch Isolation, sie entstehen und bestehen durch Beziehungen zwischen Gruppen. Oft schaffen und verschärfen Kulturkontakt und Interaktion kulturelle Grenzen, statt sie abzubauen. Das ist eine der zentralen Erkenntnisse der Ethnizitätsforschung. Kulturelle Inhalte können sich bei einer oder beiden Gruppen verändern, während die von den Individuen gesehene Grenze zwischen beiden gleich bleibt! Der Kern von Ethnizität besteht – ganz entgegen den populären Vorstellungen und auch der popularisierten Ethnologie – nicht in kulturellen Inhalten. Der Kern besteht in der Abgrenzung: Wir und sie. Ganz ähnlich ist es bei der Heimat. Das Revier wird symbolisch markiert, durch Sprache, Kunst oder Fahnen. Durch die Abgrenzung gehören manche dazu, »wir Kölner«, andere werden ausgeschlossen, »die Düsseldorfer«.
Keine Identität ohne Identitäter
Kulturelle Grenzen sind wichtig für kollektive Identität. Das ist eigentlich zu erwarten. Dis Psychologen sagen uns, dass auch individuelles Selbstgefühl sich nur in Abgrenzung zu anderen herausbildet. In heutigen Gesellschaften werden diese Grenzen aber auch manipulativ eingesetzt. Identität wird zur Waffe im Konkurrenzkampf, wenn es um Gelder, Posten und Schulzugang geht. Menschen führen ihre Kultur als Grund ins Feld, statt mit Sachargumenten zu arbeiten. »Mir steht dieses oder jenes zu, weil ich Angehöriger der kulturellen Minderheit X oder der Mehrheit Y bin.« Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich finanzielle Unterstützung beanspruche, »weil ich arm bin« oder »weil ich zur Gruppe X oder Y gehöre«. Ethnologen nennen das »Kulturalisierung«. Dafür wird die eigene Kultur einzigartiger gemacht, als sie ist.
Das Starren auf die jeweilige Kultur und die Überhöhung der Besonderheiten erhält eine besondere Dynamik bei Konflikten. Oft geht es schlicht und einfach um unterschiedliche Interessen. Zwei Gruppen erheben Anspruch auf dasselbe Stück Land. Zwei Ethnien kämpfen darum, welche ihrer Sprachen Nationalsprache wird. Statt sachlich zu argumentieren, werden Gründungsmythen bemüht: Man selbst sei schon immer hier gewesen. Geschichte wird zurechtgebogen, zur Not auch schlicht erfunden. Saddam Hussein ließ sich als Wagenlenker auf den Schlachtwagen Nebukadnezars darstellen – auch wenn der heutige Irak mit dem alten Babylon nichts gemein hat. Den eigenen Leuten wird von der »uralten
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